Kategorie-Archiv: Kritiken

Raritäten aus der barocken Schatzkiste

FALTER 35/17

Wolfram Schurig (Foto: Judith Krasser Schurig)

Wolfram Schurig (Foto: Judith Krasser Schurig)

Zu Lebzeiten war Giovanni Battista Somis einer der berühmtesten Geigenvirtuosen in Europa. ,,Ein einziger Bogenstrich dauerte so lange, dass es einem selbst in der Erinnerung daran den Atem verschlägt”, schrieb ein Kritiker im Jahr 1740. Dass Somis, der bei Corelli studiert und sich später als Pädagoge einen Namen gemacht hat, auch ein begabter Komponist war, ist heute kaum bekannt. Zu Unrecht, findet der Vorarlberger Blockflötist und Komponist Wolfram Schurig. Für das Album “Nostalgia” (Fra Bernardo) hat er die Blockflötensonaten gemeinsam mit Johannes Hämmerle am Cembalo erstmals für CD eingespielt: fein auskomponierte, stimmungsvolle Barockmusik, die Somis virtuos bis in die entlegensten Tonarten modulieren lässt. Weiterlesen

Es bleibt in der Familie: Musik von Bach & Sons

FALTER 24/17

Jean Rondeau (Foto: Baghir)

Jean Rondeau (Foto: Baghir)

Aller guten Dinge sind drei, hat sich Sebastian Knauer wohl gedacht und nach den Alben “ÜberBach” und “Bach &Sons” seine Auseinandersetzung mit dem musikalischen Erbe des barocken Großmeisters fortgesetzt. Begleitet vom Zürcher Kammerorchester widmet er sich auf “Bach & Sons 2″ (Berlin Classics) neben den beiden Konzerten BWV 1055 und BW 1056 auch echten Raritäten, etwa dem virtuosen f-Moll-Konzert von Johann Christian Bach oder jenem des berühmtesten Sohns, Carl Philipp Emanuels. Den Höhepunkt bildet J.S. Bachs Tripelkonzert BWV 1044, das Knauer mit seinen Freunden und langjährigen Wegbegleitern Daniel Hope (Geige) und Philipp Jundt (Flöte) musiziert. Fortsetzung unbedingt erwünscht! Weiterlesen

Wie Engel klingen? Womöglich so!

FALTER 20/17

Terry Wey (Foto: Paris Mexis)

Terry Wey (Foto: Paris Mexis)

“Eine Entdeckung, die überfällig ist”, schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich über den 31-jährigen schweizerisch-US-amerikanischen Countertenor Terry Wey. Jetzt ist das erste Soloalbum “Pace e guerra” (dhm) erschienen. Ursprünglich wurden die 14 Arien für den italienischen Kastraten Antonio Maria Bernacchi (1685-1756) komponiert, einen der berühmtesten Sänger seiner Zeit. Terry Wey adelt jede Nummer; wunderbar auch, wie er sich an das hervorragend aufspielende Bach Consort Wien schmiegt. Weiterlesen

Liebe und Schmerz zwischen Himmel und Erde

FALTER 16/17

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Jonas Kaufmann (Foto: Gregor Hohenberg / Sony Classical)

Jonas Kaufmann ist immer wieder für Überraschungen gut. Im Musikverein wagte er sich vergangenen Juni an der Seite der Wiener Philharmoniker unter Jonathan Nott an Gustav Mahlers “Lied von der Erde” und interpretierte die Parts von Tenor und Bariton (bzw. Alt) im Alleingang. Ein gewaltiger Kraftakt, zumal Kaufmann die Monate zuvor sämtliche Auftritte krankheitsbedingt auf Eis gelegt hatte. Das Konzert wurde mitgeschnitten und ist nun auf CD (Sony) nachzuhören, mit Kaufmann als singenden Erzähler zwischen Himmel und Erde. Weiterlesen

Dreierlei vom polnischen Allerlei

FALTER 10/17

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Mit nur 21 Jahren gewann Seong-Jin Cho 2015 den renommierten Warschauer Chopin-Wettbewerb, jetzt ist die erste Studioaufnahme “Piano Concerto No. 1 – Ballades” (Deutsche Grammophon) erschienen. Neben vier Balladen spielt der Koreaner das Klavierkonzert No. 1 mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Gianandrea Noseda. Überschreiben ließe sich Chos Spiel vor allem mit dem Begriff “cantabile”, singend. Hier gibt es keine großen Gefühlsausbrüche, dafür umso mehr Poesie und Intimität. Ein wenig vermissen lässt Seong-Jin Cho die Ecken und Kanten, das Abgründige in Chopins Musik – wir schieben es einfach einmal aufs jugendliche Alter. Weiterlesen

Drei Quartette, zwei gestreichelt und eines gezupft

FALTER 06/17

Foto: Thurstan Redding

Tippett Quartet (Foto: Thurstan Redding)

Die intimste aller Musikformen” nannte der britische Komponist William Alwyn das Streichquartett und komponierte sein erstes Opus für diese Formation bereits im jungen Alter von 15 Jahren. Es folgte noch ein Dutzend weiterer Quartette, die jedoch bald im Schatten von Alwyns weit populäreren Filmmusiken standen und aus den Konzertprogrammen verschwanden. Auch auf Tonträger ist die Ausbeute mager. Weiterlesen

Ach, ach, ach – drei Variationen von Meister Bach

FALTER 03/17

Nemanja Radulovic (Foto: Charlotte Abramow / DG)

Nemanja Radulovic (Foto: Charlotte Abramow / DG)

Johann Sebastian Bach (1685-1750) war nicht nur ein ausgesprochener Vielschreiber, sondern er hat, wie zur Zeit des Barock üblich, auch immer wieder Werke anderer Komponisten sowie eigene Werke bearbeitet und transkribiert. Daran erinnert Nemanja Radulović mit seinem neuen Album “Bach” (Deutsche Grammophon). Der serbische Geiger ließ dafür drei seiner Lieblingswerke neu arrangieren: die Toccata & Fuge, die Chaconne sowie die berühmte Air aus der Orchester-Suite in D-Dur. Für Traditionalisten sind die kühnen, fast schon rockigen Arrangements, in denen Radulović seine beeindruckende Virtuosität beweist, bestimmt eine Herausforderung. Ein echter Glücksgriff hingegen ist das wunderbare, viel zu selten gespielte Bratschenkonzert, bei dem der Geiger selbst an der Viola zu hören ist. Weiterlesen

Alle Jahre wieder: die Top-Ten-Charts

khatia

 

 

Khatia Buniatishvili: Kaleidoscope (Sony)
Dämonisch, charismatisch und hypersensibel: wenn Khatia Klavier spielt, dann steht die Zeit still. Wahnsinnsfrau, Hammeralbum.

 

 

sokolov

 

 

Grigory Sokolov: Schubert/Beethoven
Studios meidet Sokolov konsequent. Umso kostbarer ist dieser Live-Mitschnitt auf 2 CDs. Zugabe, Zugabe!

 

 

currentzis

 

 

Currentzis/Kopatchinskaja: Tchaikovsky: Violin Concerto – Stravinsky: Les Noces
Junge Wilde: der Dirigent und die Geigerin musizieren, dass die Fetzen fliegen.
Einfach nur geil.

 

 

say

 

 

Fazil Say: Mozart – Sämtliche Klaviersonaten
Mehr Mozart! Der türkische Ausnahmepianist lebt und atmet jede einzelne der insgesamt 375 Minuten. Zeit nehmen und genießen.

 

 

daniil

 

 

Da­niil Trifonow: Transcendental
Der Junge Russe spielt mit Liszt. Und was für Genieklänge er da hervorzaubert, ist atemberaubend. Oder transzendental.

 

 

kermes

 

 

Simone Kermes & La Magnifica Cumunitá : Love
Die Kermes zwischen Liebesgeflüster und emotionaler Achterbahnfahrt. Grandios musiziert. Trifft mitten ins Herz.

 

 

alison

 

 

Alison Balsom: Jubilo
Himmlische Klänge: die britische Star-Trompeterin liefert ein feinsinniges Barockprogramm.

 

 

kashkashian

 

 

Kim Kashkashian: Arcanum
Die dunkle Seite des Klangs: was die Bratschistin Kim Kashkashian ihrem Instrument zu verlocken vermag, ist berauschend.

 

 

cremona

 

 

Quartetto di Cremona: Saint-Saëns
Kein “Karneval der Tiere”, dafür selten gehörte, unglaublich packende Kammermusik und deshalb unbedingt eine Entdeckung wert.

 

 

letzbor

 

 

Gunar Letzbor: Accordato-Ex Vienna
Wieder hat der österreichische Geiger Fundstücke unbekannter Barockkomponisten der Habsburger im Gepäck. Virtuos!

 

 

 

 

 

 

Ein Stimme gar Wunderlich

wunderlich

Fritz Wunderlich als Tamino in Mozarts “Zauberflöte”. (Foto: Gerhard H. Siess/DG)

Falter 40/2016

Im September wäre der deutsche Opernsänger Fritz Wunderlich 86 Jahre alt geworden. Gestorben ist er 1966 auf tragische  Art und Weise: Er stürzt die Treppe im Haus eines Freundes hinunter, prallte mit dem Kopf auf den Steinfliesenboden und war wenige Stunden später tot – nur eine Woche vor seinem 36. Geburtstag und auf dem Weg zur absoluten Weltspitze, das Debüt an der New Yorker Met stand gerade bevor. Auch 50 Jahre nach seinem Tod fasziniert der Tenor ungebrochen. Die aktuellen Veröffentlichungen zeigen, dass er zu den Größten seines Fachs gehörte. Weiterlesen

Zeitgenossen zwischen Licht und Schatten

Falter Stadtzeitung 43/16

Wie Schatten im Dunkel klingen? Recht düster, wenn es nach der gleichnamigen Porträt-CD (Wergo) des Komponisten Enjott Schneider geht. „Phoenix“, „Dunkelreise“ (nach Fragmenten von Hans Rott, dem genialen Komponisten, Bruckner-Schüler, Freund Gustav Mahlers und Schöpfer einer zukunftsweisenden Symphonie, der mit 26 Jahren in einer Irrenanstalt an seinen Wahnvorstellungen zugrunde ging) und „Neidhart’s Nightmare“ heißen die Tonschöpfungen, die zwischen Licht und Schatten, Tag und Nacht, Träumen und Albträumen, Wahn und Wirklichkeit oszillieren. Richtig beklemmend wird es im letzten Stück, einem Minnelied für Klavier und Orchester (Solist: Oliver Triendl), wenn Enjott Schneider gemeinsam mit dem famos aufspielenden Tonkünstlern unter Kevin John Edusei ins Dunkel des Mittelalters entführt und dabei ganz auf die helle Orchesterfarbe der Violinen verzichtet. Ziemlich spooky, aber unglaublich gut. Weiterlesen