Müssen wir uns also Sorgen um die klassische Musik machen? Dass nicht alles so schwarz aussieht, wie es gerne gemalt wird, zeigt die internationale Fachmesse Classical:NEXT. 2012 wurde sie von der Tonträgerindustrie ins Leben gerufen und ist nach nur zwei Ausgaben zum weltweit wichtigsten Hot-Spot für die klassische Musikbranche avanciert. Von 14. – 17. Mai findet sie heuer zum zweiten Mal in Wien statt. Direktorin und Mitbegründerin Jennifer Dautermann erzählt im Interview wie viel Potential in der Klassik steckt und warum es notwendig ist, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Weiterlesen
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Lasst die Bögen tanzen!
Für ihre neue CD haben sich Lenka Torgersen (Violine), Václav Luks (Cembalo) und Libor Mašek (Violoncello) auf eine musikalische Reise in das Böhmen des 18. Jahrhunderts begeben. Damals war Prag so etwas wie eine Kaderschmiede für Musiker, allen voran Violinvirtuosen vom Schlag eines Antonio Vivaldi, die nicht nur ihr Instrument fantastisch beherrschten, sondern auch begnadete Komponisten waren. Der wohl bekannteste war Frantisek Benda, von dem der englische Musikschriftsteller Charles Burney 1772 schrieb: “Sein Stil ist weder der Stil des Tartini, Somis, Veracini noch irgendeines Hauptes einer musikalischen Schule, sondern es ist sein eigener und nach dem Muster gebildet, welches alle Instrumentalisten studieren sollten, gutes Singen nämlich.” Einen Einblick in die Kunst seines Schaffens geben nun Lenka Torgersen, Václav Luks und Libor Mašek, allesamt Musiker des ausgezeichneten Prager Barockensembles „Collegium 1704“. Drei Violinsonaten Frantisek Bendas erklingen hier – makellos interpretiert, sinnlich, galant und reich verziert. Unbedingt eine Entdeckung wert: Josef Antonín Gurecký und Frantisek Jiránek, beide vollendete Violinisten und Zeitgenossen Bendas, deren virtuose Kompositionen bisher zu Unrecht in den Archiven schlummerten. Jetzt wurden sie endlich wachgeküsst!

“Il Violino Boemo”
Violinsonaten böhmischer Violinvirtuosen des 18. Jahrhunderts
Lenka Torgersen (Violine)
Václav Luks (Cembalo)
Libor Mašek (Violoncello)
Label: Supraphon
„Die Musik hat mich befreit“
Es war ruhig geworden um Hélène Grimaud. Nun hat sie ihre neue CD veröffentlicht und ihr drittes Buch, „Retour à Salem“ (Rückkehr nach Salem) geschrieben. Im Gespräch erzählt sie, was sie seit fast dreißig Jahren antreibt und warum man manchmal scheitern muss, um Vorwärts zu kommen.
Erotisch, rasend und selbstbewusst
Nach Wagner und Verdi wird in diesem Jahr Richard Strauss anlässlich seines Geburtstages vor 150 Jahren gedacht. Die Salzburger Osterfestspiele würdigen ihn mit einer Neuproduktion von dessen Oper „Arabella“. Es war das letzte Werk aus der Feder des Komponisten und seines kongenialen Textdichters Hugo von Hofmannsthal. In Salzburg singt die große Sopranistin Renée Fleming die Titelrolle in Richard Strauss´ Arabella. Im Interview erzählt sie von ihrer Liebe zum Komponisten und erklärt, was es mit den Frauen bei Strauss auf sich hat.
Figaro im Ural? Alles andere denn eine Qual!
Die Hochzeit des Figaro” ist eine von Mozarts populärsten Opern, es gibt unzählige Aufnahmen davon, manche besser, manche weniger gut. Lohnt es sich, die dramatischen Verstrickungen um einen heuchlerischen Grafen erneut auf Tonträger zu bannen? Teodor Currentzis, der sich als schräger Außenseiter zunächst einen Namen als Musikdirektor an der Oper von Nowosibirsk machte, ist ein genialer Coup gelungen. Er wurde nach Perm berufen, einer Stadt am Ural, wo er an der etwas angeranzten Oper für frischen Wind sorgen sollte.
Currentzis verstand es, Arbeitsbedingungen zu verhandeln, von denen jeder Intendant nur träumen kann: Er nahm sein Originalklang-Ensemble MusicAeterna mit und verlangte ausreichende finanzielle Mittel, das Orchester und einen Chor gut zu besolden, sowie unbegrenzte Probenzeit. In Perm hat sich Currentzis auch vorgenommen, Mozarts drei Da-Ponte-Opern auf CD einzuspielen. Kommenden Herbst steht die Aufzeichnung von „Don Giovanni” an, „Così fan tutte” ist bereits abgeschlossen, der „Figaro” ist soeben erschienen.
Currentzis serviert einen Mozart, der frei und unverbraucht klingt und der in seiner Interpretation so radikal wie schlüssig ist. Das gemeinhin als „opernhaft” Bezeichnete übertriebenes Vibrato und überzeichnete Affekte gibt es hier nicht. Stattdessen hören wir einen Vortrag von größter Intimität und staunen über die herrlichen Ornamente, die seine Sänger (Simone Kermes, Andrei Bondarenko, Christian van Horn, Fanie Antonelou) verwenden. Das Orchester spielt auf historischen Instrumenten, weil sie den straffen, klar definierten Klang liefern, der den Reiz dieser Musik ausmacht.
Currentzis geht über die Grenzen hinaus und zeigt, was möglich ist, wenn man die Fabrikmentalität des Klassik-Mainstreams meidet. Die Aufnahme rundet ein üppiges Booklet ab, in dem er seine Ansichten über Mozart darlegt.

Le Nozze di Figaro
Mit Andrei Bondarenko, Simone Kermes, Fanie Antonelou, Christian van Horn u.a.
MusicaAeterna
Leitung: Teodor Currentzis
Sony Classical
42 Euro
Pretty Belcanto
Manche glauben nicht an das Wort Schicksal, Pretty Yende schon. Ganz entspannt sitzt sie im Rosa Zimmer des Wiener Konzerthauses. Yende ist spätabends aus Prag angereist, wo sie am Abend zuvor ein Galakonzert gesungen hat. Einen ganzen Tag lang wird die 29-jährige Sopranistin in Wien Interviews geben und Fragen beantworten. Vor einem Jahr gab Pretty Yende hier Debüt.
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Zur Estenmusik rat ich dir, hör die Tulve & den Tüür
Drei neue Veröffentlichungen des Labels ECM geben einen spannenden Einblick in das musikalische Schaffen im Norden Europas.
Auf der estnischen Ostseeinsel Hiiuma wurde Erkki-Sven Tüür geboren, damals war das Land noch von den Sowjets okkupiert. Ende der 1970er Jahre gründete er in seinem Heimatland die Rockband In Spe, verdiente sein Geld als Flötist, Keyboarder und Sänger, studierte dann an der Musikakademie Tallinn und wurde mit den Anfängen der „Perestroika“ schnell auch außerhalb Estlands bekannt. Heute zählt er zu den eigenwilligsten und sogleich interessantesten Komponisten der Gegenwart. Das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks und der NDR Chor haben unter der Leitung von Paavo Järvi Tüürs Klavierkonzert (Solistin: Laura Mikkola) und seine Siebte Symphonie aufgenommen. Im Mittelpunkt von Tüürs kompositorischen Schaffens steht die Verbindung von Gegensätzen. Da werden Kantilenen jäh durchbrochen, Tonales trifft auf Atonales, peu à peu steuert die Musik einen dramatischen Höhepunkt an, um sich dann in einer unheilvollen Stille zu verlieren. Seine Stücke beschreibt der Komponist als abstrakte, klingende Dramen. „Sie entfalten sich in einem Raum, der sich unablässige verschiebt, ausdehnt und zusammenzieht“.
Helena Tulve, 1972 geboren, teilt die Vorliebe ihres Lehrers und Landsmannes Erkki-Sven Tüür für transformative Prozesse in der Musik. „Arboles lloran por lluvia“ (Die Bäume weinen um Regen) hat sie ihr Album genannt und lässt darauf fünf Stücke in den unterschiedlichsten Besetzungen erklingen, vom Alte-Musik-Ensemble mit Countertenor über das Quartett bis hin zum Symphonieorchester. Nach Innen gekehrt und zugleich hochexpressiv gestalten sich Tulves Klangwelten: da treffen ätherische Flageolett-Töne auf rasanten Tempiwechsel und fast unhörbares Vibrieren auf hochdramatische Ausbrüche. Manches ist organisch, manches archaisch, vieles geheimnisvoll.
Mieczislaw Weinberg ist immer noch ein Geheimtipp. Gemeinsam mit seiner Kremerata Baltica hat Gidon Kremer dem polnisch-sowjetischen Komponisten nun ein musikalisches Porträt (2 CDs) gewidmet. Zu Beginn steht Weinbergs 3. Sonate für Violine Solo, ein hoch virtuoses und über weite Teile ausgesprochen schroffes Stück indem Weinberg den Tod seiner Eltern im KZ verarbeitet. Bekömmlicher sind die Sonatine op. 46 für Violine und Klavier (bravourös: Daniil Trifonov) sowie das spätromantisch klingende Concertino op. 42 für Violine und Streichorchester. Eine gute Einstimmung auf die 10. Symphonie. Sie zählt zu den experimentellsten Werken des Komponisten, der hier mutig12-Ton-Reihen und Akkordstrukturen miteinander verbindet. Vor allem aber ist das Stück ein ungemein packendes Opus, voller überraschender Klangkombinationen, mächtige Forte-Ausbrüche, heftige Glissandi und bedrohliche Kantilenen.
Zwischen Kunst und Kebab
Die gebürtige Kroatin Petra Grosinic heizt als DJ CounTessa auf den Wiener Tanzflächen ein, Monica Delgadillo aus Mexiko tanzt die Toleranz und Natalie Sopuchova aus Tschechien singt für die Gemeinschaft. Die drei Frauen mit Migrationshintergrund haben eines gemeinsam – die Wiener Brunnenpassage. In der Caritas-Einrichtung haben sie erfahren, dass Kunst und Integration wunderbar harmonieren.
Mozarts Genie, das stets aufs Neue verblüfft
Sieben Jahre lang ist Ádám Fischer immer wieder nach Kopenhagen gereist, um gemeinsam mit dem Danish National Chamber Orchestra alle 45 Mozart-Sinfonien aufzunehmen. Dabei ist Großes gelungen, was nicht zuletzt an Mozart selbst liegt, dessen Genialität stets aufs Neue verblüfft.
Seine erste Sinfonie schrieb Wolfgang Amadeus Mozart neunjährig. 69 weitere sollten folgen, von denen einige aber nicht oder nur fragmentarisch erhalten sind. Gerade die Kinder und Jugendsinfonien überraschen durch ihre Ausdruckskraft. Sie sind Spiegelbilder der Reisen, die Mozart mit seinem Vater in ganz Europa unternommen hat – kurze, zuvorkommende Stücke in drei oder vier Sätzen.
Dennoch offenbart sich bereits die Fähigkeit des Komponisten, eine unendliche Fülle an Farben und Emotionen zum Klingen zu bringen. 20 Jahre später waren Mozarts Sinfonien vollendete künstlerische Aussagen mit dem gleichen Gewicht wie seine Opern. Mit Mozart hatte das Drama in den Konzertsaal Einzug gehalten.
Ádám Fischers Mozart überwältigt und berührt zugleich. Herb und schroff klingt er, vor allem in den schnellen Sätzen. Wilder Sturm und Drang, helle Bläser, draufgängerische Streicher. Und dann diese zurückhaltenden, transzendenten Momente, wo die vollendete Schönheit von Mozarts Einfachheit zum Ausdruck kommt.
Angst, Bangen, kindlicher Humor, aufkommende Hoffnung, melancholische Abgeklärtheit –Fischer stellt in jeder einzelnen Phrase die emotionale Aussage in den Mittelpunkt und lässt sich dabei von der historischen Aufführungspraxis inspirieren: wenig Vibrato in den Streichern, was dem vollen, satten Klang keinerlei Abbruch tut. „Mozarts Werke werden, was das Orchester betrifft, nirgends besser aufgeführt als in dieser Hauptstadt“, berichtete Constanze Mozart 1811 aus Kopenhagen. Mit diesem Zyklus schließt sich zwei Jahrhunderte später der Kreis.
Adam Fischer & The Danish National Chamber Orchestra
W.A.Mozart 45 Symphonies
(Dacapo, 12 CDs)
“Die Stimme ist der Spiegel unserer Seele”
Es ist früher Nachmittag, typisches Wiener Novemberwetter, eine Mischung aus Nebel und Nieselregen. Chen Reiss hat ein Treffen in einem Kaffeehaus in der Innenstadt vorgeschlagen, nur wenige Gehminuten von der Staatsoper entfernt, wo sie später mit dem Korrepetitor zum Proben verabredet ist. Sie kommt in einem kurzen, eleganten Kleid und hohen Stiefeln, trägt Schwarz, die langen Haare zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Todschick sieht die 34-Jährige aus, dazu dieses unverschämt glückliche Strahlen in ihren Augen.