Klassik rockt!

Jennifer Dautermann

Jennifer Dautermann

Müssen wir uns also Sorgen um die klassische Musik machen? Dass nicht alles so schwarz aussieht, wie es gerne gemalt wird, zeigt die internationale Fachmesse Classical:NEXT. 2012 wurde sie von der Tonträgerindustrie ins Leben gerufen und ist nach nur zwei Ausgaben zum weltweit wichtigsten Hot-Spot für die klassische Musikbranche avanciert. Von 14. – 17. Mai findet sie heuer zum zweiten Mal in Wien statt. Direktorin und Mitbegründerin Jennifer Dautermann erzählt im Interview wie viel Potential in der Klassik steckt und warum es notwendig ist, über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Frau Dautermann, worum geht es bei der Classical:NEXT?

Ursprünglich kam die Idee von den deutschen Independent-Label und -Vertrieben, die sich von der Classical:NEXT neue Impulse erhofft haben. Daraus ist ein globales Netzwerk entstanden, wo sich die internationale klassische Musikszene treffen und austauschen kann. Drei Tage lang diskutieren Künstler, Agenturen und Labels, Musikverlage, Orchester und Ensembles, Festival-, Konzerthaus- und Veranstaltungsmanager, Medien und Journalisten, Studierende und Pädagogen über die Gegenwart und die Zukunft der Klassik – aus wirtschaftlicher, künstlerischer, kreativer und philosophischer Sicht.

Eine der Besonderheiten der Classical:NEXT ist, dass die Teilnehmer das Hauptprogramm selbst bestimmen.

Wir sehen uns als offene Plattform, die sich an den Bedürfnissen ihrer Akteure orientiert. Die Classical:NEXT soll keine Expo, sondern ein Community Projekt, eine Art Festival sein. Die besten Themenvorschläge und Projektideen wurden von der Classical:NEXT-Jury ausgewählt und mit ins Programm genommen.

Welche sind die großen Themen in diesem Jahr?

Den Märkten Brasiliens und Südkorea ist heuer ein Schwerpunkt gewidmet. Neue Wege der Promotion, Marketing-Strategien, Fragen, wie die Klassikindustrie die Möglichkeiten der Internets für sich erschließen kann, alternative Veranstaltungsformen, innovatives Unternehmertum oder die Zukunft des audio-visuellen sind nur einige Themen, die behandelt werden. Wir diskutieren über die Zukunft der Komponisten und Orchester ebenso wie über neue Wege in der Musikvermittlung und Reformen in der Ausbildung. Experten wie Konzerthauschef Matthias Naske sind ebenso zu Gast wie der Komponist Richard Berrett oder das internationale Team des Klassik-Labels Naxos.

Junge Zuhörer sind rar in den Konzertsälen. Wie lässt sich das ändern? 

Kinder und Jugendliche kriegen kaum noch Musikunterricht, gehen kaum ins Konzert. Neue Vermittlungsformen können ein Weg sein, neues Publikum anzulocken. Die meisten großen Kulturinstitutionen haben das mittlerweile erkannt. Die Frage ist, wie innovationsfreudig sie sind. In der Klassik ist die Hemmschwelle immer noch sehr hoch. Viele wünschen sich ein offeneres Setting im Konzertsaal. Das können zum Beispiel kurze knackige Konzerte ohne Pause in ungezwungener Atmosphäre sein. Mit Klassik-Clubbings oder neuen Veranstaltungsorten bringt man die Klassik zu jenen Menschen, die nicht in den Konzertsaal gehen. In London ist die „nonclassical club night“ bereits Kult. Wir bespielen im Rahmen der Live-Showcases, wo auch die zeitgenössische Musik einen wichtigen Platz einnimmt, u.a. das Porgy & Bess, das Elektro Gönner oder das Badeschiff. Die Musik des 19. Jahrhunderts erfordert gewisse Riten und Orte, aber auch hier ändert sich das Rezeptionsverhalten. Das Konzert, so wie wir es kennen, ist eine wunderbare Sache. Aber ich vermisse die Vielfalt. Hier hängt die Klassik nach, statt das vorhandene Potential auszuschöpfen. Klassik darf auch Entertainment sein.

Kann die classical:NEXT auch eine Chance für junge Musiker sein?

Dass muss sie! Wir wollen Künstlern der nächsten Generation, kleineren Veranstaltern oder Independent-Labels eine Plattform geben, wo sie sich selbst und ihre Ideen präsentieren können. Hier haben sie die Möglichkeit Kontakte zu knüpfen und im Rahmen der Konzerte ihre Karriere zu lancieren. Den etablierten traditionellen Institutionen fehlt oft der innovative Geist, während die kreativen Inputs meistens aus der freien, alternativen Szene kommen. Und die braucht wiederum Geld und Expertise. Wenn wir diese zwei Akteure zusammenbringen, profitieren beide davon.

Wie sehen sie die Zukunft der Klassik?

Sehr positiv. Dafür, dass man immer wieder von Krise spricht, tut sich unglaublich viel in der Branche. Vergangenes Jahr waren mehr als 900 Teilnehmer aus 40 Ländern zu Gast in Wien. Heuer erwarten wir fantastische Künstler wie den britischen Komponisten und DJ Gabriel Prokofiev, Enkel des russischen Komponisten Sergeij Prokofiev, den brasilianischen Gitarrenvirtuose Daniel Murray oder das schwedische Streichquartett Kristallkvartetten. Alle Konzerte sind übrigens auch für das öffentliche Publikum zugänglich. Den Auftakt macht am 12. Mai der Chorus Sine Nomine mit einem gesungenen Flashmob im neuen Einkaufszentrum „Wien Mitte The Mall“. Klassik rockt, man muss sich nur trauen!