Schlagwort-Archiv: Falter

In einem Land außerhalb unserer Zeit

Falter Stadtzeitung 51/16

Die Fotografin Katharina Gossow fotografierte Alma Deutscher im Hotel Beethoven.

Für den Falter fotografierte Katharina Gossow Alma Deutscher im Hotel Beethoven.

Alle warten auf Alma. Die Sänger und die Produktionsleiterin haben sich schon im Souterrain des Klavierhauses Wallner im vierten Bezirk eingefunden, die Oper „Cinderella“ soll geprobt werden. Journalisten zücken Stift und Block, die Kameras werden in Stellung gebracht. Dann stürmt ein blondes Mädchen herein, in blauem Kleid und roter Jacke mit einem glitzernden Springseil in der Hand. Begleitet wird sie von ihrem Vater, der sich im Hintergrund hält. Alma strahlt über das ganze Gesicht, hüpft, läuft und setzt sich sofort ans Klavier. Die Probe kann beginnen. Ihr Blick wird ernst, mit einem Nicken gibt sie den Sängern den Einsatz. In diesem Moment ist sie Pianistin, Dirigentin und Regisseurin in einem. Sie presst die Lippen aufeinander, reißt die Augen auf, zieht die Augenbrauen hoch. „Soll ich es euch vorsingen?“, fragte sie die Sänger. „Es muss dramatischer klingen!“ Alma ist freundlich, aber bestimmt, nichts kann sie aus ihrer Konzentration bringen. Weiterlesen

Die Magie des Augenblicks

„Die glücklichsten Momente erlebe ich, wenn ich es schaffe, mich auf der Bühne fallen zu lassen und alles um mich herum zu vergessen“, sagt Khatia Buniatishvili. (Foto: Gavin Evans / Sony)

„Die glücklichsten Momente erlebe ich, wenn ich es schaffe, mich auf der Bühne fallen zu lassen und alles um mich herum zu vergessen“, sagt Khatia Buniatishvili. (Foto: Gavin Evans / Sony)

Falter Stadtzeitung 16/16

Das Cover ist tiefschwarz und auf Hochglanz poliert. Kein Titel, keine Schrift, nur die übereinander gelegte Vorder- und Rückenansicht einer jungen Frau mit dunkler, wilder Mähne. Die junge Frau heißt Khatia Buniatishvili. Der Name kommt aus Georgien. Dort wurde sie geboren, dort wuchs sie auf, dort kam sie mit der Musik in Berührung. Als kleines Mädchen sang Khatia georgische Volkslieder, im Alter von sechs Jahren debütierte sie als Solistin mit Orchester. Als Zehnjährige reiste sie zum ersten Mal zu Gastspielen nach Europa und in die USA. Bei einem Wettbewerb in Tiflis lernte sie ihren späteren Lehrer Oleg Maisenberg kennen, der sie zum Wechsel nach Wien bewegte. Maisenberg war es auch, der die junge Pianistin immer wieder dazu ermutigte, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen – als Künstlerin und Interpretin. Zu Wien hat Khatia Buniatishvili immer noch eine ganz besondere Verbindung, hier verbrachte sie ihre Studienjahre, hier musste sie lernen, ihren eigenen Weg zu gehen, weit weg von zu Hause. Weiterlesen

Avi Avital (Foto: Harald Hoffmann/DG)

Von tanzenden Feen und Fischen in fremden Gewässern

Avi Avital (Foto: Harald Hoffmann/DG)

Avi Avital (Foto: Harald Hoffmann/DG)

Transkriptionen haben in der Musikgeschichte Tradition. Nicht nur im Pop wird munter gecovert, auch die Klassiker fischen gerne in fremden Gewässern. Der wohl prominenteste „Plünderer“ war Franz Liszt: er hinterließ 140 Bearbeitungen, 55 davon sind Liedtranskriptionen von Franz Schubert. Überhaupt wurde der Liederfürst gerne und viel bearbeitet. So auch von Daniel Behle, der Schuberts Winterreise nun für Tenor und Klavier-Trio (Oliver Schnyder Trio) eingerichtet hat und sie auf seinem Album Winterreisen (2 CDs) der Originalversion gegenüberstellt. Eine feine Bearbeitung, die durch den Einsatz lautmalerischer Akzente von Violine und Violoncello (Begleitfiguren, Tremolos, Flageoletts und Pizzicati) Schuberts Gefühls- und Bilderwelt ganz neu durchwandern lässt.

Daniel Behle (Foto: Marco Borggreve)

Daniel Behle (Foto: Marco Borggreve)

Maurice Ravel hingegen hat seine Werke am liebsten gleich selbst bearbeitet. Ursprünglich waren sämtliche Stücke, die Seiji Ozawa und das Boston Symphony Orchestra auf der CD Maurice Ravel – Orchestral Works spielen, für das Klavier komponiert worden. Nach und nach wandelte Ravel seine Klavierzyklen Ma Mère l’Oye, Valse nobles et sentimentales oder Le tombeau de Couperin in Orchesterfassungen um und schuf eine bizarre Märchenwelt voll schillernder Klangfarben und zarter Melodien, wo Feen tanzen und Däumlinge ihr Unwesen treiben.

Seiji Ozawa @ the Boston Symphony Orchestra, April 5, 1975

Seiji Ozawa @ the Boston Symphony Orchestra, April 5, 1975

Avi Avital machte aus der Not eine Tugend. Nachdem das Repertoire für die klassische Mandoline recht schnell erschöpft war, blieb dem jungen Mann aus Israel nichts anderes, als die Musik für sein Instrument passend zu machen. Dabei stellte sich heraus, dass sich viele Stücke hervorragend für die Mandoline arrangieren lassen, von Bach bis Bartók, von bulgarischen Volkstänzen bis hin zu Dvorák und Villa Lobos. Seine aktuelle CD widmet Avi Avital Vivaldi. Der hat eines der Konzerte tatsächlich für die Mandoline komponiert. Die übrigen hat Avital virtuos arrangiert, als wären sie nie anders gedacht gewesen.

Franz Schubert Winterreisen Daniel Behle (Tenor) Oliver Schnyder Trio Sony Classical

Franz Schubert
Winterreisen
Daniel Behle (Tenor)
Oliver Schnyder Trio
Sony Classical

Maurice Ravel Orchestra Works Boston Symphony Orchestra Seiji Osawa Pentatone

Maurice Ravel Orchestra Works
Boston Symphony Orchestra
Seiji Osawa
Pentatone

Antonio Vivaldi Avi Avital Venice Baroque Orchestra Deutsche Grammophon

Antonio Vivaldi
Avi Avital
Venice Baroque Orchestra
Deutsche Grammophon

Figaro im Ural? Alles andere denn eine Qual!

Teodor Currentzis (Foto: Sony Classical)

Teodor Currentzis (Foto: Sony Classical)

Falter

Die Hochzeit des Figaro” ist eine von Mozarts populärsten Opern, es gibt unzählige Aufnahmen davon, manche besser, manche weniger gut. Lohnt es sich, die dramatischen Verstrickungen um einen heuchlerischen Grafen erneut auf Tonträger zu bannen? Teodor Currentzis, der sich als schräger Außenseiter zunächst einen Namen als Musikdirektor an der Oper von Nowosibirsk machte, ist ein genialer Coup gelungen. Er wurde nach Perm berufen, einer Stadt am Ural, wo er an der etwas angeranzten Oper für frischen Wind sorgen sollte.

Currentzis verstand es, Arbeitsbedingungen zu verhandeln, von denen jeder Intendant nur träumen kann: Er nahm sein Originalklang-Ensemble MusicAeterna mit und verlangte ausreichende finanzielle Mittel, das Orchester und einen Chor gut zu besolden, sowie unbegrenzte Probenzeit. In Perm hat sich Currentzis auch vorgenommen, Mozarts drei Da-Ponte-Opern auf CD einzuspielen. Kommenden Herbst steht die Aufzeichnung von „Don Giovanni” an, „Così fan tutte” ist bereits abgeschlossen, der „Figaro” ist soeben erschienen.

Currentzis serviert einen Mozart, der frei und unverbraucht klingt und der in seiner Interpretation so radikal wie schlüssig ist. Das gemeinhin als „opernhaft” Bezeichnete – übertriebenes Vibrato und überzeichnete Affekte – gibt es hier nicht. Stattdessen hören wir einen Vortrag von größter Intimität und staunen über die herrlichen Ornamente, die seine Sänger (Simone Kermes, Andrei Bondarenko, Christian van Horn, Fanie Antonelou) verwenden. Das Orchester spielt auf historischen Instrumenten, weil sie den straffen, klar definierten Klang liefern, der den Reiz dieser Musik ausmacht.

Currentzis geht über die Grenzen hinaus und zeigt, was möglich ist, wenn man die Fabrikmentalität des Klassik-Mainstreams meidet. Die Aufnahme rundet ein üppiges Booklet ab, in dem er seine Ansichten über Mozart darlegt.

Le Nozze di Figaro Mit Andrei Bondarenko, Simone Kermes, Fanie Antonelou, Christian van Horn u.a.  MusicaAeterna Leitung: Teodor Currentzis Sony Classical 42 Euro.

Le Nozze di Figaro
Mit Andrei Bondarenko, Simone Kermes, Fanie Antonelou, Christian van Horn u.a.
MusicaAeterna
Leitung: Teodor Currentzis
Sony Classical
42 Euro