„Die Musik hat mich befreit“

Hélène Grimaud (Foto: Mat Hennek)

Hélène Grimaud (Foto: Mat Hennek)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es war ruhig geworden um Hélène Grimaud. Nun hat sie ihre neue CD veröffentlicht und ihr drittes Buch, „Retour à Salem“ (Rückkehr nach Salem) geschrieben. Im Gespräch erzählt sie, was sie seit fast dreißig Jahren antreibt und warum man manchmal scheitern muss, um Vorwärts zu kommen.

Als 15-jährige überrascht Hélène Grimaud die Musikwelt mit einer furiosen Einspielung von Rachmaninows Zweiter Klaviersonate. Prompt gewinnt das junge Mädchen aus Südfrankreich den Grand Prix du Disque. Mit 17 gelingt ihr der internationale Durchbruch: Sie spielt auf dem Internationalen Klavierfestival in La Roque d’Anthéron, gibt ein Konzert in Tokio und debütiert mit dem Orchestre de Paris unter Daniel Barenboim. Hélène Grimaud bekommt hymnische Kritiken, zieht in die USA und tut das, was sie am liebsten mag: Klavier spielen und Konzerte geben. Doch irgendwann wird der Druck für die hochbegabte und hypersensible Pianistin zu viel. Sie zieht sich zurück und gründet auf dem Land vor den Toren New Yorks ein Wolfsreservat. Für die PR-Agenturen ist das ein gefundenes Fressen: man sieht die Grimaud in Hochglanzmagazinen, Talkshows und TV-Porträts. Sie schreibt ihr erstes Buch (auch über Wölfe) und wird plötzlich zur Wildtierexpertin. Zur Jahrtausendwende ist der Medienhype um die Frau „die mit den Wölfen tanzt“ so groß, dass die ernsthafte Pianistin Hélène Grimaud dahinter zu verschwinden droht. Wieder wird der Rummel um die eigene Person unerträglich, wieder zieht sie sich zurück und Fragen über die Wölfe sind fortan unerwünscht. Heute, mit 44, scheint Hélène Grimaud ruhiger geworden zu sein. Sie wirkt offener und weniger ängstlich, geblieben ist die Sprache, dieses sprudelnde New Yorkerisch, nur ganz selten blitzt ein Funken französischer Akzent hindurch. Vor einigen Monaten hat sie ihre neue CD veröffentlicht und ihr drittes Buch, „Retour à Salem“ (Rückkehr nach Salem) geschrieben. Im Gespräch erzählt sie, was sie seit fast dreißig Jahren antreibt und warum man manchmal scheitern muss, um Vorwärts zu kommen.

Hélène Grimaud, Sie stehen seit über 20 Jahren auf der Bühne. Sind Sie immer noch aufgeregt?

Ja, ich bin vor jedem Konzert aufgeregt. Jeder Auftritt ist einzigartig und zutiefst bewegend. Das habe ich der Musik zu verdanken, die mich immer wieder aufs Neue überrascht. Es ist wie eine Entdeckungsreise, die nie aufhört.

Was treibt Sie an?

Neugierde und Abenteuerlust, denn kein Abend gleicht dem anderen. Jedes Orchester hat seinen eigenen Klang und auch die Menschen im Publikum sind unterschiedlich. Das ist ungemein bereichernd, weil es mir neue Perspektiven und Sichtweisen eröffnet.

Gibt es manchmal Zweifel?

Zweifel gehören zum Leben dazu. Sie sind etwas sehr persönliches und sie beschäftigen dich dann, wenn du alleine bist. Zweifel sind wie ein Kontrapunkt. Mich haben sie angespornt immer weiter zu suchen.

Als Pianistin verbringen Sie viel Zeit alleine am Instrument. Leiden Sie manchmal an dieser Einsamkeit?

Ich würde es statt Einsamkeit lieber „Alleinsein“ nennen, und ich bin gerne alleine. Das Alleinsein ist für mich essentiell, um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen, ein sehr intimer, beinahe mystischer Moment. Zugleich  kann man sich in der Musik erst richtig ausdrücken, wenn man sie mit anderen teilt. Und das passiert im Konzert, im Musizieren mit einem Orchester oder mit anderen Musikern. Die ersten 15 Jahre meiner Karriere habe ich es bevorzugt, mit Orchestern zu spielen. Ich habe diesen Austausch gesucht, weil ich es inspirierend finde, mit anderen Menschen zusammen ein künstlerisches Ziel zu verfolgen. Gleichzeitig habe ich die Vorbereitungszeit genossen, in der ich ganz auf mich alleine gestellt war.

Welche Erinnerungen kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an ihre Kindheit zurückdenken?

Ich hatte wunderbare Eltern, die mich gefördert und mir viele Türen geöffnet haben. Als Kind habe ich in meiner eigenen Welt aus Gefühlen und Erwartungen gelebt. Der Wunsch Grenzen zu durchbrechen war schon sehr früh da. Das war oft quälend, weil ich nicht genau wusste, wo ich hingehöre. Mit sieben bekam ich ein Klavier und die Suche hatte ein Ende. Ich stürzte mich sofort in die Musik, weil sie mir Freude machte. Sie hat mir eine neue Dimension gezeigt und mich befreit.

Woher kommt Ihre bedingungslose Liebe zur Natur?

Aus meiner Kindheit. Ich habe mit meinen Eltern viel Zeit in der Natur verbracht. Wir sind wandern gegangen oder durch den Wald geradelt. Und im Sommer haben wir zwei manchmal drei Wochen in den Bergen Urlaub gemacht. Mich haben die Geräusche, die Gerüche und die Farben schon als kleines Mädchen fasziniert. Wenn ich mir Komponisten, Musiker, Poeten oder Schriftsteller ansehe, dann scheint jeder irgendwo das Bedürfnis zu haben, seinen Geist und Körper wieder mit der Natur in Einklang zu bringen. Für mich ist die Natur die schönste aller Musen.

Vor vier Jahren wurde bei Ihnen ein Bauchhöhlentumor diagnostiziert. Wie geht es Ihnen heute?

Sehr gut, vielen Dank!

Nach der schweren Operation, mussten Sie einige Monate pausieren. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Nichts. Zum allerersten Mal in meinem Leben. Ich war todunglücklich. Es hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt.

Hat die Krankheit ihren Zugang zur Musik verändert?

Nun, an meinem Leben als konzertierende Pianistin hat sich nichts geändert. Aber ich achte darauf, Prioritäten zu setzen, zum Beispiel, wie ich meine freie Zeit verbringe. Und ich versuche nicht mehr so obsessiv zu sein wie früher, dafür etwas gelassener und zufriedener. Das klappt nicht immer (lacht). Aber inzwischen weiß ich, was mit gut tut und dass ich mir auch eine Auszeit nehmen kann.

Sie leben heute in der Schweiz. Kümmern Sie sich noch um das Wolfscenter in South Salem?

Als ich das Center 2005 verlassen habe, stand die Infrastruktur auf eigenen Füssen. Ich konnte mich aus dem Tagesgeschäft des Centers zurückziehen und habe mich lange Zeit ausschließlich auf meine Musik konzentriert. Jetzt lebe ich wieder teilweise in New York, um öfters nach South Salem fahren zu können. Demnächst starten wir ein Projekt mit dem vom Aussterben bedrohten mexikanischen Wolf, der sich hier vermehren soll, um später ausgewildert zu werden.

Sie haben soeben Ihr drittes Buch veröffentlicht. Wie finden Sie bei dem ganzen Trubel und dem vielen Üben noch die Zeit und Kraft zum Schreiben?

Ich habe schon als Teenager Tagebuch geschrieben. Für mich ist das Schreiben ein bisschen wie ein neues Werk einzustudieren. Da zählen nicht nur die Stunden, die man am Instrument verbringt. Der Text entsteht, ähnlich wie die Musik, bereits im Kopf.

Hélène Grimaud Brahms Concertos Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Wiener Philharmoniker Leitung: Andris Nelsons Deutsche Grammophon 17 Euro

Hélène Grimaud
Brahms Concertos
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Wiener Philharmoniker
Leitung: Andris Nelsons
Deutsche Grammophon
17 Euro