Kategorie-Archiv: Kritiken

Von Romantik und Heroik, von Herz und von Schmerz

Falter

Vittorio Grigòlo (Foto: Alex D. James)

Vittorio Grigòlo (Foto: Alex D. James)

Seufzer, Schluchzer und ganz viel Schmalz –– keiner liebt und leidet derzeit so hingebungsvoll wie der italienische Tenor Vittorio Grigolo. Auf „The Romantic Hero” (Sony) singt er Tenor­arien aus französischen Opern, also schwer romantischen Stoff zwischen liebestrunkener Süße und düsterer Sehnsucht von Massenets „Werther” und „Manon” über Gounods „Roméo et Juliette” bis zu Bizets „Carmen”. Grigolos schlanke, schöne Stimme scheint in den vergangenen Jahren an Reife gewonnen zu haben. Feurige Höhen meistert er ebenso bravourös wie berückende Pianissimo-Momente, weite lyrische Bögen und Kantilenen kostet er aus, als wären es die letzten. Dass er immer schon ein romantischer und heroischer Dichter mit einer tiefen, abgründigen Seite sein wollte – man glaubt es ihm aufs Wort.
Konkurrenz bekommt Grigolo aus dem Hause Decca, wo der lyrischen Tenor Juan Diego Flórez daheim ist. Der hat, weil sich das Repertoire anbietet, mit „L’Amour” ebenfalls ein rein französisches Album herausgebracht. Neben schillernden Paradestücken (Boieldieus „La Dame blanche”) und verführerisch-sanften Arien (Bizets „La jolie fille de Perth”) bietet Flórez hier die gesamte Bandbreite seines Fachs. Ein Glück, dass sich die Auswahl der beiden Herren, Werthers „Massenet” ausgenommen, nicht überschneidet. Denn mit Grigolos hinreißend schöner Interpretation kann der Peruaner leider nicht mithalten.
Immer noch ein Geheimtipp ist der Dritte im Tenorenbund, der Deutsche Daniel Behle. Mit einer herrlichen, natürlichen Stimme gesegnet, präsentiert er „Gluck Opera Arias” (Decca) und umspannt Christoph Willibald Glucks unbekanntes Opernwerk, von den frühen Opere serie wie „Ipermestra” bis hin zum späten französischen Repertoire mit einem Ausschnitt aus „Iphigenie in Aulis” und einer Szene aus der Opéra comique „Die unverhoffte Begegnung”. Eine willkommene, überraschend kurzweilige Abwechslung.

The Romantic Hero Sony Classical 21 Euro

The Romantic Hero
Sony Classical
21 Euro

L'Amour Decca 18 Euro

L’Amour
Decca
18 Euro

Gluck Opera Arias Decca 18 Euro

Gluck Opera Arias
Decca
18 Euro

Lasst die Bögen tanzen!

Für ihre neue CD haben sich Lenka Torgersen (Violine), Václav Luks (Cembalo) und Libor Mašek (Violoncello) auf eine musikalische Reise in das Böhmen des 18. Jahrhunderts begeben. Damals war Prag so etwas wie eine Kaderschmiede für Musiker, allen voran Violinvirtuosen vom Schlag eines Antonio Vivaldi, die nicht nur ihr Instrument fantastisch beherrschten, sondern auch begnadete Komponisten waren. Der wohl bekannteste war Frantisek Benda, von dem der englische Musikschriftsteller Charles Burney 1772 schrieb: “Sein Stil ist weder der Stil des Tartini, Somis, Veracini noch irgendeines Hauptes einer musikalischen Schule, sondern es ist sein eigener und nach dem Muster gebildet, welches alle Instrumentalisten studieren sollten, gutes Singen nämlich.” Einen Einblick in die Kunst seines Schaffens geben nun Lenka Torgersen, Václav Luks und Libor Mašek, allesamt Musiker des ausgezeichneten Prager Barockensembles „Collegium 1704“. Drei Violinsonaten Frantisek Bendas erklingen hier – makellos interpretiert, sinnlich, galant und reich verziert. Unbedingt eine Entdeckung wert: Josef Antonín Gurecký und Frantisek Jiránek, beide vollendete Violinisten und Zeitgenossen Bendas, deren virtuose Kompositionen bisher zu Unrecht in den Archiven schlummerten. Jetzt wurden sie endlich wachgeküsst!

"Il Violino Boemo" Violinsonaten böhmischer Violinvirtuosen des 18. Jahrhunderts Lenka Torgersen (Violine) Václav Luks (Cembalo) Libor Mašek (Violoncello) Label: Supraphon

“Il Violino Boemo”
Violinsonaten böhmischer Violinvirtuosen des 18. Jahrhunderts
Lenka Torgersen (Violine)
Václav Luks (Cembalo)
Libor Mašek (Violoncello)
Label: Supraphon

Figaro im Ural? Alles andere denn eine Qual!

Teodor Currentzis (Foto: Sony Classical)

Teodor Currentzis (Foto: Sony Classical)

Falter

Die Hochzeit des Figaro” ist eine von Mozarts populärsten Opern, es gibt unzählige Aufnahmen davon, manche besser, manche weniger gut. Lohnt es sich, die dramatischen Verstrickungen um einen heuchlerischen Grafen erneut auf Tonträger zu bannen? Teodor Currentzis, der sich als schräger Außenseiter zunächst einen Namen als Musikdirektor an der Oper von Nowosibirsk machte, ist ein genialer Coup gelungen. Er wurde nach Perm berufen, einer Stadt am Ural, wo er an der etwas angeranzten Oper für frischen Wind sorgen sollte.

Currentzis verstand es, Arbeitsbedingungen zu verhandeln, von denen jeder Intendant nur träumen kann: Er nahm sein Originalklang-Ensemble MusicAeterna mit und verlangte ausreichende finanzielle Mittel, das Orchester und einen Chor gut zu besolden, sowie unbegrenzte Probenzeit. In Perm hat sich Currentzis auch vorgenommen, Mozarts drei Da-Ponte-Opern auf CD einzuspielen. Kommenden Herbst steht die Aufzeichnung von „Don Giovanni” an, „Così fan tutte” ist bereits abgeschlossen, der „Figaro” ist soeben erschienen.

Currentzis serviert einen Mozart, der frei und unverbraucht klingt und der in seiner Interpretation so radikal wie schlüssig ist. Das gemeinhin als „opernhaft” Bezeichnete – übertriebenes Vibrato und überzeichnete Affekte – gibt es hier nicht. Stattdessen hören wir einen Vortrag von größter Intimität und staunen über die herrlichen Ornamente, die seine Sänger (Simone Kermes, Andrei Bondarenko, Christian van Horn, Fanie Antonelou) verwenden. Das Orchester spielt auf historischen Instrumenten, weil sie den straffen, klar definierten Klang liefern, der den Reiz dieser Musik ausmacht.

Currentzis geht über die Grenzen hinaus und zeigt, was möglich ist, wenn man die Fabrikmentalität des Klassik-Mainstreams meidet. Die Aufnahme rundet ein üppiges Booklet ab, in dem er seine Ansichten über Mozart darlegt.

Le Nozze di Figaro Mit Andrei Bondarenko, Simone Kermes, Fanie Antonelou, Christian van Horn u.a.  MusicaAeterna Leitung: Teodor Currentzis Sony Classical 42 Euro.

Le Nozze di Figaro
Mit Andrei Bondarenko, Simone Kermes, Fanie Antonelou, Christian van Horn u.a.
MusicaAeterna
Leitung: Teodor Currentzis
Sony Classical
42 Euro

Zur Estenmusik rat ich dir, hör die Tulve & den Tüür

Helena Tulve, Foto: ECM

Helena Tulve, Foto: ECM

Falter

Drei neue Veröffentlichungen des Labels ECM geben einen spannenden Einblick in das musikalische Schaffen im Norden Europas.

Auf der estnischen Ostseeinsel Hiiuma wurde Erkki-Sven Tüür geboren, damals war das Land noch von den Sowjets okkupiert. Ende der 1970er Jahre gründete er in seinem Heimatland die Rockband In Spe, verdiente sein Geld als Flötist, Keyboarder und Sänger, studierte dann an der Musikakademie Tallinn und wurde mit den Anfängen der „Perestroika“ schnell auch außerhalb Estlands bekannt. Heute zählt er zu den eigenwilligsten und sogleich interessantesten Komponisten der Gegenwart. Das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks und der NDR Chor haben unter der Leitung von Paavo Järvi Tüürs Klavierkonzert (Solistin: Laura Mikkola) und seine Siebte Symphonie aufgenommen. Im Mittelpunkt von Tüürs kompositorischen Schaffens steht die Verbindung von Gegensätzen. Da werden Kantilenen jäh durchbrochen, Tonales trifft auf Atonales, peu à peu steuert die Musik einen dramatischen Höhepunkt an, um sich dann in einer unheilvollen Stille zu verlieren. Seine Stücke beschreibt der Komponist als abstrakte, klingende Dramen. „Sie entfalten sich in einem Raum, der sich unablässige verschiebt, ausdehnt und zusammenzieht“.

Helena Tulve, 1972 geboren, teilt die Vorliebe ihres Lehrers und Landsmannes Erkki-Sven Tüür für transformative Prozesse in der Musik. Arboles lloran por lluvia“ (Die Bäume weinen um Regen) hat sie ihr Album genannt und lässt darauf fünf Stücke in den unterschiedlichsten Besetzungen erklingen, vom Alte-Musik-Ensemble mit Countertenor über das Quartett bis hin zum Symphonieorchester. Nach Innen gekehrt und zugleich hochexpressiv gestalten sich Tulves Klangwelten: da treffen ätherische Flageolett-Töne auf rasanten Tempiwechsel und fast unhörbares Vibrieren auf hochdramatische Ausbrüche. Manches ist organisch, manches archaisch, vieles geheimnisvoll.

Mieczislaw Weinberg ist immer noch ein Geheimtipp. Gemeinsam mit seiner Kremerata Baltica hat Gidon Kremer dem polnisch-sowjetischen Komponisten nun ein musikalisches Porträt (2 CDs) gewidmet. Zu Beginn steht Weinbergs 3. Sonate für Violine Solo, ein hoch virtuoses und über weite Teile ausgesprochen schroffes Stück indem Weinberg den Tod seiner Eltern im KZ verarbeitet. Bekömmlicher sind die Sonatine op. 46 für Violine und Klavier (bravourös: Daniil Trifonov) sowie das spätromantisch klingende Concertino op. 42 für Violine und Streichorchester. Eine gute Einstimmung auf die 10. Symphonie. Sie zählt zu den experimentellsten Werken des Komponisten, der hier mutig12-Ton-Reihen und Akkordstrukturen miteinander verbindet. Vor allem aber ist das Stück ein ungemein packendes Opus, voller überraschender Klangkombinationen, mächtige Forte-Ausbrüche, heftige Glissandi und bedrohliche Kantilenen.

 

 

Mozarts Genie, das stets aufs Neue verblüfft

Falter

Adam Fischer (Foto: Lukas Beck)

Adam Fischer (Foto: Lukas Beck)

Sieben Jahre lang ist Ádám Fischer immer wieder nach Kopenha­gen gereist, um gemeinsam mit dem Danish National Chamber Orchestra alle 45 Mozart-Sinfonien aufzunehmen. Dabei ist Großes gelungen, was nicht zuletzt an Mo­zart selbst liegt, dessen Genialität stets aufs Neue verblüfft.

Seine erste Sinfonie schrieb Wolfgang Amadeus Mozart neunjährig. 69 weitere sollten folgen, von denen einige aber nicht oder nur fragmentarisch erhalten sind. Gerade die Kinder­ und Jugendsinfonien überraschen durch ihre Ausdruckskraft. Sie sind Spiegelbilder der Reisen, die Mozart mit seinem Vater in ganz Europa unternommen hat – kurze, zuvorkommende Stücke in drei oder vier Sätzen.

Dennoch offenbart sich bereits die Fähigkeit des Komponisten, eine unendliche Fülle an Farben und Emotionen zum Klingen zu bringen. 20 Jahre später waren Mozarts Sinfonien vollendete künstlerische Aussagen mit dem gleichen Gewicht wie seine Opern. Mit Mozart hatte das Drama in den Konzertsaal Einzug gehalten.

Ádám Fischers Mozart überwältigt und berührt zugleich. Herb und schroff klingt er, vor allem in den schnellen Sätzen. Wilder Sturm und Drang, helle Bläser, draufgängerische Streicher. Und dann diese zurückhaltenden, transzendenten Momente, wo die vollendete Schönheit von Mozarts Einfachheit zum Ausdruck kommt.

Angst, Bangen, kindlicher Humor, aufkommende Hoffnung, melancholische Abgeklärtheit –Fischer stellt in jeder einzelnen Phrase die emotionale Aussage in den Mittelpunkt und lässt sich dabei von der historischen Aufführungspraxis inspirieren: wenig Vibrato in den Streichern, was dem vollen, satten Klang keinerlei Abbruch tut. „Mozarts Werke werden, was das Orchester betrifft, nirgends besser aufgeführt als in dieser Hauptstadt“, berichtete Constanze Mozart 1811 aus Kopenhagen. Mit diesem Zyklus schließt sich zwei Jahrhunderte später der Kreis.

Adam Fischer & The Danish National Chamber Orchestra
W.A.Mozart 45 Symphonies

(Dacapo, 12 CDs)

Der Körper bebt, die Seele tanzt

Falter

Herbert Blomstedt

Sieben Jahre lang war Herbert Blomstedt Chefdirigent beim Gewandhausorchester Leipzig. Nach seiner Verabschiedung 2005 kehrte er regelmäßig für ausgewählte Projekte ans Dirigentenpult zurück, etwa um sämtliche Sinfonien von Anton Bruckner aufzunehmen. Rechtzeitig zum 85. Geburts- tag des Dirigenten wurde der Zyklus nun mit den Sinfonien Nr. 2 und Nr. 9 abgeschlossen. Entstanden ist ein eindrucksvolles Tondokument, dessen fantastische Musik vom blinden Verständnis zwischen Herbert Blomstedt und dem fabelhaften Gewandhausorchester getragen wird.

Es hat lange gedauert, ehe Bruckner für seine Sinfonien breite Anerkennung zuteil wurde. Selbst heute noch bedarf die Musik einer sehr persönlichen Auseinandersetzung. Monumentale Architektur und kühne Harmonik, Exzentrik und Spiritualität prägen sein sinfonisches Schaffen – keine leichte Kost, zumal selbst große Dirigenten nicht davor gefeit sind, sich gerade bei Bruckner in Maßlosigkeit und sakrale Weihrauchstimmung zu flüchten. Doch Pathos verträgt Bruckner keines. Seine Musik ist überwältigend. Sie bedarf keiner künstlichen Anstrengungen. Bei Blomstedt zieht sie einen geradezu rauschhaft in ihren Bann.

Während in den Sinfonien eins bis drei Ausgelassenheit herrscht – Bruckner selbst nannte seine erste ein „keckes Beserl“, wohl wegen deren gewagter Harmonik –, ist die vierte von romantischer Naturstimmung erfüllt. Spannungsgeladen und gleichzeitig in sich ruhend gestaltet Herbert Blomstedt die fünfte, von filigraner Klangkunst getragen erklingt die sechste, majestätisch und meisterhaft ausbalanciert gelingen ihm die siebte und achte. Physisch spürbar wird die innere Spannung, wenn die neunte zu Beginn des ersten Satzes gleichsam aus dem Nichts erwächst, ehe sich das Hauptthema in seiner vollen Größe entfaltet und im dreifachen Forte des vollen Orchesters mit straff punktiertem Rhythmus und weiten Intervallsprüngen herabstürzt. Ein starkes Stück Musik, nicht zuletzt dank der hervorragen- den Akustik des Gewandhauses.

Herbert Blomstedt & The Gewandhausorchester Leipzig
Bruckner The Complete Symphonies
Querstand (9 CDs)

 

Simone Kermes „Dramma“: schlicht und sauschwer, ein Händel-Hit und noch viel mehr

Falter

Simone Kermes "Dramma" (Sony Classical)

Simone Kermes “Dramma” (Sony Classical)

Für ihre CD „Dramma“ hat Simone Kermes elf der virtuosesten Arien der italienischen Opera seria ausgewählt: Werke von Leonardo Leo, Johann Adolf Hasse, Nicola Porpora und Giovanni Battista Pergolesi, die ursprünglich alle für Kastraten komponiert wurden. Viele der Arien wurden hier zum allerersten Mal eingespielt, die meisten haben einen jahrhundertelangen Dornröschenschlaf hinter sich. Die Anforderungen an den Interpreten sind extrem, erklärt Simone Kermes: „Das ist purer Belcanto, sauschwer. Die technische Meisterschaft der Kastraten war einfach unglaublich. Dagegen hatten die Sängerinnen damals kaum eine Chance.“ Tatsächlich genossen Sänger wie Farinelli, Cafarelli, Porporino oder Belli im Neapel des frühen 18. Jahrhunderts hohes Ansehen und wurden für ihre Künste so fürstlich entlohnt, dass sich Cafarelli tatsächlich ein Herzogtum kaufen konnte.

Neben einigen kantablen Arien erklingen hier solche, die an Schwierigkeit kaum zu überbieten sind. Simone Kermes stellt ihre phänomenale Technik unter anderem in den funkelnden Koloraturen der Rachearie „Per trionfar pugnando“ unter Beweis, wo sie neben aberwitzigen Oktavsprüngen drei Oktavenregister, vom tiefen A bis zum dreigestrichenen D (!), zu bewältigen hat. In der Sturm-Arie „Vedrà turbato il mare“ besingt sie das sich auftürmen- de Meer mit langen, schnellen Koloraturen. Bei „Son qual nave“ setzt sie mit kristallklaren Staccato-Figuren, Verzierungen und Kadenzen noch eins drauf. Die Schönheit von „Alto Giove“ hingegen liegt vor allem in ihrer Schlichtheit. Wie Kermes die Töne ab- und anschwellen lässt, ist atem- beraubend. Selbst von Händels Hit- Arie „Lascia ch’io pianga“, bekannt aus Funk und Fernsehen, kann man hier gar nicht genug bekommen.

Wo die Oper spielt: im trauten Heim natürlich

Falter

RCOC-©Carlos Pericás

Juan Carlos Pericás

Opern für die Hi-Fi-Anlage zu Hause braucht es das denn? Ja, und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens spart man sich die leidige Debatte um Inszenierungen, es geht hier einzig und allein um die Musik. Und zweitens ist der regelmäßige Besuch eines Opernhauses ein sehr kostspieliger Spaß. Der Mitschnitt von Beethovens „Fidelio“ (Decca) kommt da gerade recht. 2010 wurde die Oper beim Lucerne Festival aufgeführt, bis zu 320 Euro musste man für eine Karte lockermachen. Die Doppel-CD kostet einen Bruchteil davon und sorgt auch ohne Bühne für ein unglaubliches Hörerlebnis. Unter Claudio Abbado klingt das Werk noch eindringlicher, exzellent ist auch die Rollenbesetzung: Nina Stemme als Leonore steht mit Jonas Kaufmann der zurzeit wohl beste Florestan zur Seite.

Als Geheimtipp gelten die Werke des Katalanen Domènec Terradellas. „Sesostri“ (RCOC) ist eine typische Opera seria: der Stoff spielt in der Antike, es geht um Liebe, Rache, Macht und Mord. Musikalisch bietet Terradellas eine dichte Dramaturgie und raffiniert orchestrierte Arien. Zudem hat Juan Bautista Otero ein erstklassiges Ensemble um sich geschart. Sunhae Im in der Titelrolle klingt zwar ein wenig aufgesetzt, Alexandrina Pendatchanska als Sesostris Mutter Nitocri und Kenneth Tarver in der Rolle des ägyptischen Tyrannen Amasi sind dafür hervorragend besetzt.

„A newly-discovered operatic mas- terpiece by G.F. Handel as world premiere recording“ verspricht der Sticker auf der CD „Germanico“ (dhm/ Sony). Entdeckt wurde das Manuskript 2007 in einer florentinischen Bibliothek. Ob das Werk nun tatsächlich Georg Friedrich Händel zuzuschreiben ist oder nicht – die Abschrift stammt nicht vom Komponisten, trägt aber den Vermerk „Del Sigr Hendl“ –, darüber gehen die Expertenmeinungen auseinander. Hinzu kommt, dass „Germanico“ keine Oper ist, sondern eine Serenade. Gerade deshalb eignet sich das kurzweilige Stück gut als Futter für den CD-Player, zumal es mit tadellosen Barocksängern aufwartet, allen voran Sara Mingardo in der Titelpartie des Germanico.