Schlagwort-Archiv: Barock

Musischer Adventskalender 2014, Tür #16: Music for a While

cd-cover-purcell-pluhar-music-for-a-while-100~_v-img__1__1__xl_-fc0f2c4a90a5ebfa79f56bc1c9c6a86c876e2a3cMit ihrem Ensemble L´Arpeggiata erforscht die Lautenspielerin Christina Pluhar regelmäßig die Welt der Alten Musik und blickt dabei auch gerne mal über dessen Tellerrand hinaus. Mal spielt sie italienischen Frühbarock, mal mischt sie Madrigale von Monteverdi mit Jazz- und Blues-Elementen, mal wird nach Lust und Laune improvisiert – eine Praxis, die im 17. Jahrhundert übrigens gang und gäbe war, weil der Notentext zu dieser Zeit meist nur sporadisch notiert war. Zuletzt erforschte Christina Pluhar die Klangwelten Südamerikas und jene des Mittelmeerraums; jetzt kehrte die gebürtige Grazern zu ihren musikalischen Wurzeln zurück und nahm sich den englischen Meister des Barocks, Henry Purcell vor, dessen Lieder sie auf ihrer neuen CD virtuos “verjazzt” hat. Natürlich hat Frau Pluhar auch dieses Mal wieder illustre Gäste um sich versammelt, die gemeinsam mit L´Arpeggiata durch Purcells Klangwelten fegen: neben der spanischen Sopranistin Raquel Andueza – sie singt die berührende Todesarie der Dido aus “Didi and Aeneas” –, sind auch Jazzgitarrist Wolfgang Muthspiel, Klarinettist Gianluigi Trowes und Countertenor Philippe Jaroussky mit von der Partie. Und wenn jetzt so mancher Traditionalist bei solchen Projekten die Stirn runzelt – “Music for a while” ist ein Album, welches, wie es der Titel schon sagt, zum Verweilen einlädt. Und zum Genießen. Wer sich nach Purcells “Originalen” sehnt, weiß ja, wo er sie findet. Wer hingegen mutig genug ist, sich auf dieses klangliche Experiment einzulassen, wird schnell merken, wie unsinnig das ewige Gerde von “historisch informierter Aufführungspraxis” ist. In diesem Sinne: Auf zu neuen Ufern! Purcell hätte es bestimmt gefallen.

Adventskalender 2014, Tür #11: Chiaras Tagebuch

ChiaraAn einem Apriltag des Jahres 1718 wurde ein zwei Monate altes Mädchen vor dem Ospedale della Pietà, einem der vielen Waisenhäuser in Venedig, ausgesetzt. Die Venezianischen Ospedali waren soziale Einrichtungen, die seit dem Ende des 16. Jahrhunderts verlassenen Waisenkindern eine sichere Unterkunft boten. Die talentiertesten Mädchen wurden von Klein auf in Musik unterrichtet. Nach und nach wurden aus den Ospedali richtige Konservatorien, wo den Kindern Musiktheorie, Gesang und Instrumente beigebracht wurden. Zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert hatten diese Chöre und Orchester ein solch hohes Niveau erreicht, dass Venedig zu einem der wichtigsten Zentren der damaligen Kultur und Musik wurde. Regenten und wichtige Persönlichkeiten aus ganz Europa kamen hierher, um dem feinen Gesang und dem präzisen Spiel der Mädchen zu lauschen. Chiara war ein außergewöhnlich begabtes Kind. Mit 12 Jahren lernte sie Viola d’amore, Orgel und besonders virtuos Geige spielen; mit 21 war “Chiara del Violino” die wahrscheinlich beste Geigerin Europas. “Per la Signora Chiara” – so lautet die Widmung eines Violinkonzerts aus der Feder Antonio Vivaldis, der als Musiklehrer am Ospedale della Pietà wirkte. Aber auch andere Komponisten wie Giovanni Porta, Antonio Martinelli oder Andrea Bernasconi widmeten Chiara Solokonzerte. Fabio Biondi hat die lange verschollenen Werke aus den Archiven hervorgeholt und gemeinsam mit seinem Ensemble Europa Galante aufgenommen. Das Ergebnis dieser mitreißend musizierten Entdeckungsreise nannten sie „Il Diario di Chiara“. Dem Album liegt außerdem ein halbstündiger Dokumentarfilm bei, der vom Leben des venezianischen Wundermädchens erzählt. Chiara starb 1791 im Alter von 73 Jahren.

Musischer Adventskalender 2014, Tür #1: Rival Queens

Rival Queens

Barocke Roben und Boxhandschuhe – so posieren die aus Alaska stammende Mezzosopranistin Vivica Genaux und  die deutsche Sopranistin Simone Kermes auf dem Cover ihres Albums „Rival Queens“. Dabei mimen sie die einstigen Barockstars Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni, die ihre Feindseligkeiten sogar offen auf der Bühne austrugen. Dem Publikum gefiel´s. Die beiden Sopran-Diven Genaux und Kermes lassen das Drama musikalisch wieder auferstehen und singen zusammen mit der Cappella Gabetta unter Andres Gabetta herrliche Opernarien von barocken Meistern, die es ohne die zwei Primadonnen womöglich nie gegeben hätte, darunter 12 Neueinspielungen. Neben Musik von Händel, Hasse oder Porpora erklingen  auch fast vergessene Komponisten wie Leo, Ariosti oder Sarro. Natürlich sind auch Ausschnitte aus jener Oper zu hören, in der der legendäre Opernskandal ausbrach: Giovanni Bononcinis Astianatte. Wer die beiden Primadonnen live erleben möchte, der hat demnächst die Gelegenheit dazu. Am 20. Jänner 2015 um 19 Uhr gastieren sie mit dem Programm Baroque Rivalries im Theater an der Wien.

 

Hier ist alles Gold, was glänzt

Prachtvoll muss es im barocken Venedig zugegangen sein, das noch bis ins 18. Jahrhundert zu den großen kulturellen und wirtschaftlichen Zentren Europas gehörte. Heute erinnern die einzigartige Schönheit der Lagunenstadt, ihr Mythus und ihr musisches Erbe an das längst vergangene „Goldene Zeitalter“, dem die Akademie für Alte Musik Berlin nun ein musikalisches Denkmal gesetzt hat. Weiterlesen

Barock mit Turboprop

Falter

Simone Kermes (Foto: Christian Wind)

Dunkle Röhrenjeans, irre hohe Heels, fetziges Shirt. So wie Simone Kermes zum Interview am Flughafen Schwechat erscheint, denkt man eher an einen Popstar als an eine Sängerin aus dem klassischen Fach. Am rechten Ringfinger trägt sie einen fetten goldenen Totenkopfring. „Der ist von Alexander McQueen. Er wollte, dass ich bei seiner letzten Show in Paris singe. Dann hat er sich umgebracht. Beim Konzert gestern habe ich übrigens einen Stoff von ihm angehabt.“

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Simone Kermes „Dramma“: schlicht und sauschwer, ein Händel-Hit und noch viel mehr

Falter

Simone Kermes "Dramma" (Sony Classical)

Simone Kermes “Dramma” (Sony Classical)

Für ihre CD „Dramma“ hat Simone Kermes elf der virtuosesten Arien der italienischen Opera seria ausgewählt: Werke von Leonardo Leo, Johann Adolf Hasse, Nicola Porpora und Giovanni Battista Pergolesi, die ursprünglich alle für Kastraten komponiert wurden. Viele der Arien wurden hier zum allerersten Mal eingespielt, die meisten haben einen jahrhundertelangen Dornröschenschlaf hinter sich. Die Anforderungen an den Interpreten sind extrem, erklärt Simone Kermes: „Das ist purer Belcanto, sauschwer. Die technische Meisterschaft der Kastraten war einfach unglaublich. Dagegen hatten die Sängerinnen damals kaum eine Chance.“ Tatsächlich genossen Sänger wie Farinelli, Cafarelli, Porporino oder Belli im Neapel des frühen 18. Jahrhunderts hohes Ansehen und wurden für ihre Künste so fürstlich entlohnt, dass sich Cafarelli tatsächlich ein Herzogtum kaufen konnte.

Neben einigen kantablen Arien erklingen hier solche, die an Schwierigkeit kaum zu überbieten sind. Simone Kermes stellt ihre phänomenale Technik unter anderem in den funkelnden Koloraturen der Rachearie „Per trionfar pugnando“ unter Beweis, wo sie neben aberwitzigen Oktavsprüngen drei Oktavenregister, vom tiefen A bis zum dreigestrichenen D (!), zu bewältigen hat. In der Sturm-Arie „Vedrà turbato il mare“ besingt sie das sich auftürmen- de Meer mit langen, schnellen Koloraturen. Bei „Son qual nave“ setzt sie mit kristallklaren Staccato-Figuren, Verzierungen und Kadenzen noch eins drauf. Die Schönheit von „Alto Giove“ hingegen liegt vor allem in ihrer Schlichtheit. Wie Kermes die Töne ab- und anschwellen lässt, ist atem- beraubend. Selbst von Händels Hit- Arie „Lascia ch’io pianga“, bekannt aus Funk und Fernsehen, kann man hier gar nicht genug bekommen.