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Teodor Currentzis (Foto: Sony Classical)

Himmelhoch jauchzend und nie zu Tode betrübt

Heuer begeht die Musikwelt den 250. Todestag von Jean-Philippe Rameau. Das Capriccio ­Stravagante Les 24 Violons und das Collegium ­Vocale Gent spielen auf „Rameau’s Funeral” (Paradizo) Begräbnismusik, wie sie beim Trauergottesdienst zu Ehren Rameaus erklungen ist. Jean Gilles „Messe des Morts” wurde im Oratoire du Louvre in einer Bearbeitung des Komponistenduos François Rebel und François Francœur gespielt. Als Hommagen an Rameau wird dessen Musik immer wieder mit jener Gilles verwoben oder sein Stil zitiert. Ein heute wie damals ergreifendes Abschiednehmen vom größten französischen Komponisten des 18. Jahrhunderts.

Der frischgebackene Echo-Gewinner Teodor Currentzis ist ein Ausnahmemusiker, das stellt er auch mit dem neuen Album „The Sound of Light” (Sony) unter Beweis. Gemeinsam mit dem Ensemble MusicAeterna präsentiert er eine sehr persönliche Hommage an Rameau und bedient sich dabei aus den lyrischen, heroischen und tragischen Opern und Balletten des Komponisten. „Wie kann man Menschen, die nie den Kuss der Sonne gespürt haben, das Licht erklären? Ich würde ihnen Musik von Rameau vorspielen”, schreibt Currentzis im Book­let. Rameau hatte aber auch eine wilde, dunkle und bedrohlich Seite. Currentzis rauscht durch diese opulenten Klangwelten und erweist sich einmal mehr als ungemein beredter Geschichtenerzähler.

Einen Bogen zur Moderne spannt die Pianistin Cathy Krier auf „Rameau, Ligeti” (Avi). Französischer Barock und ungarische Avantgarde – funktioniert das überhaupt? Kriers Antwort lautet „Ja”. Sowohl Rameaus „Pièces de Clavecin” als auch Ligetis „Musica Ricercata” verbindet die Lust am Spiel mit den Noten, das streng Intellektuelle und radikal Neue ihrer Musik. Krier gestaltet mit ihrem glasklaren und zugleich gefühlvollen Spiel wunderbare Dialoge zweier Komponisten, die einander näher sind, als man denkt.

Rameau's Funeral Paradizo 22 Euro

Rameau’s Funeral
Paradizo
22 Euro

Rameau – The Sound of Light Sony Classical 21 Euro

The Sound of Light
Sony Classical
21 Euro

Rameau – Ligeti CAvi-music 22 Euro

Rameau – Ligeti
CAvi-music
22 Euro

 

 

 

 

 

Begegnung im Herbst

Aaron Pilsan (Foto: Franck Juery / Naïve)

Aaron Pilsan (Foto: Franck Juery / Naïve)

Der Text entstand für das CD-Booklet bei Naive

Im Februar hörte ich Aaron Pilsan zum ersten Mal. Im prachtvollen Schubert-Saal des Konzerthauses gab er an der Seite von Schauspielerin Dörte Lyssewski sein Wien-Debüt. Gemeinsam gestalteten sie eine Matinee im Rahmen des Zyklus „Musik und Dichtung“ – sie las aus Arthur Schnitzlers Erzählung „Der Mörder“, er spielte Brahms und Schönberg. Kein Virtuosenfutter, sondern Musik, die zwischen versunkener Wehmut, keckem Schelm und dämonischem Schrecken, tief in die Abgründe der menschlichen Seele blicken ließ. Pilsan war gerade neunzehn geworden, ein schlanker Jüngling mit Smoking und Fliege, dunklem dichten Haar und einem schüchternen Lächeln auf den Lippen. Der Saal war bis in die hintersten Reihen gefüllt, sogar auf der Bühne hatte man Sesseln platziert, und die Mittagssonne schien den Menschen ins Gesicht, sodass manche ihre Augen schlossen, damit sie nicht geblendet werden. Als Aaron Pilsan die Bühne betrat, ging plötzlich ein Rascheln durch den Saal. Wer war dieser junge Mann? Weiterlesen

Tanz, Baby, tanz!

Das Ehepaar Tiziana und Stephan Schwab-Trau besitzt die größte private Sammlung historischer Ballspenden. (Foto: Stefan Knittel)

Das Wiener Ehepaar Tiziana und Stephan Schwab-Trau besitzt die größte private Sammlung historischer Ballspenden. (Fotos: Stefan Knittel)

Man muss kein Ballnarr sein, um auf Anhieb in bedächtiges Staunen zu verfallen, wenn Stephan Schwab-Trau zeigt, was er in den vergangenen vierzig Jahren zusammengetragen hat. Seine Sammlung kostbarer und teils kurioser Damenspenden erinnert an eine längst vergessene Ballkultur. Weiterlesen

Wo die Liebe nicht hinfällt

Die Bühne

Ted Huffman (Foto: Michael Hart)

Ted Huffman (Foto: Michael Hart)

Erst will sie, aber er nicht. Dann will er, aber sie nicht. Gegenseitige Zurückweisungen, Eifersucht, Langeweile und verpasste Chancen – Tschaikowskys Oper Eugen Onegin ist ein Stück über Menschen, die sich ihrer Gefühle und Beziehungen zu anderen nicht mehr versichern können; eine Geschichte über Menschen, die an der Gesellschaft, in der sie leben, mit all ihren Zwängen und ihrer Borniertheit, scheitern. Weiterlesen

Hier ist alles Gold, was glänzt

Prachtvoll muss es im barocken Venedig zugegangen sein, das noch bis ins 18. Jahrhundert zu den großen kulturellen und wirtschaftlichen Zentren Europas gehörte. Heute erinnern die einzigartige Schönheit der Lagunenstadt, ihr Mythus und ihr musisches Erbe an das längst vergangene „Goldene Zeitalter“, dem die Akademie für Alte Musik Berlin nun ein musikalisches Denkmal gesetzt hat. Weiterlesen

Gut gebrüllt, Löwin!

Patricia Petibon (Foto: Inge Prader/DG)

Patricia Petibon (Foto: Inge Prader/DG)

Es ist ein ganzes Weilchen her, dass Patricia Petibon an der Wiener Staatsoper zu hören war. 2007 sang sie hier die Sophie in Richard Strauss´ Rosenkavalier, nun kehrt die grazile Französin mit dem feuerroten Haar als Manon zurück – ein Debüt, denn es ist ihre erster Massenet auf einer Opernbühne, höchste Zeit also, findet sie, denn ewig könne man die Manon, „dieses junge, wilde Ding“, ja nicht singen.  Weiterlesen

Von Romantik und Heroik, von Herz und von Schmerz

Falter

Vittorio Grigòlo (Foto: Alex D. James)

Vittorio Grigòlo (Foto: Alex D. James)

Seufzer, Schluchzer und ganz viel Schmalz –– keiner liebt und leidet derzeit so hingebungsvoll wie der italienische Tenor Vittorio Grigolo. Auf „The Romantic Hero” (Sony) singt er Tenor­arien aus französischen Opern, also schwer romantischen Stoff zwischen liebestrunkener Süße und düsterer Sehnsucht von Massenets „Werther” und „Manon” über Gounods „Roméo et Juliette” bis zu Bizets „Carmen”. Grigolos schlanke, schöne Stimme scheint in den vergangenen Jahren an Reife gewonnen zu haben. Feurige Höhen meistert er ebenso bravourös wie berückende Pianissimo-Momente, weite lyrische Bögen und Kantilenen kostet er aus, als wären es die letzten. Dass er immer schon ein romantischer und heroischer Dichter mit einer tiefen, abgründigen Seite sein wollte – man glaubt es ihm aufs Wort.
Konkurrenz bekommt Grigolo aus dem Hause Decca, wo der lyrischen Tenor Juan Diego Flórez daheim ist. Der hat, weil sich das Repertoire anbietet, mit „L’Amour” ebenfalls ein rein französisches Album herausgebracht. Neben schillernden Paradestücken (Boieldieus „La Dame blanche”) und verführerisch-sanften Arien (Bizets „La jolie fille de Perth”) bietet Flórez hier die gesamte Bandbreite seines Fachs. Ein Glück, dass sich die Auswahl der beiden Herren, Werthers „Massenet” ausgenommen, nicht überschneidet. Denn mit Grigolos hinreißend schöner Interpretation kann der Peruaner leider nicht mithalten.
Immer noch ein Geheimtipp ist der Dritte im Tenorenbund, der Deutsche Daniel Behle. Mit einer herrlichen, natürlichen Stimme gesegnet, präsentiert er „Gluck Opera Arias” (Decca) und umspannt Christoph Willibald Glucks unbekanntes Opernwerk, von den frühen Opere serie wie „Ipermestra” bis hin zum späten französischen Repertoire mit einem Ausschnitt aus „Iphigenie in Aulis” und einer Szene aus der Opéra comique „Die unverhoffte Begegnung”. Eine willkommene, überraschend kurzweilige Abwechslung.

The Romantic Hero Sony Classical 21 Euro

The Romantic Hero
Sony Classical
21 Euro

L'Amour Decca 18 Euro

L’Amour
Decca
18 Euro

Gluck Opera Arias Decca 18 Euro

Gluck Opera Arias
Decca
18 Euro

“Lieber Gott, lass mich bloß nicht wahnsinnig werden!”

Falter

Marianne Crebassa & Johanna Wokalek (Foto: Salzburger Festspiele / Andreas Kolarik)

Marianne Crebassa & Johanna Wokalek (Foto: Salzburger Festspiele / Andreas Kolarik)

„Der Mensch sitzt am Meer. Er malt. Eine Melodie kommt ihm plötzlich in den Sinn. Indem er sie zu summen beginnt, bemerkt er, dass die Melodie genau auf das, was er zu Papier bringen will, passt. Ein Text formt sich bei ihm, und nun beginnt er die Melodie mit dem von ihm gebildeten Text zu unzähligen Malen mit lauter Stimme so lange zu singen, bis das Blatt fertig ist …“. Mit diesen Worten begann Charlotte Salomon ihr autobiografisches Stück „Leben? oder Theater?“. Die Salzburger Festspiele erzählen mit einer Oper das Schicksal der deutschen Malerin.

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Mozarts gefallener Engel

Format

Ildebrando D´Arcangelo (Foto: Salzburger Festspiele / Johannes Ifkovits)

Ildebrando D´Arcangelo (Foto: Salzburger Festspiele / Johannes Ifkovits)

Ildebrando D’Arcangelo – diesen Namen muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ein klingender Erzengel, wie geschaffen für die Musik. Im Salzburger Café schielen die Damen vom Nachbartisch neugierig herüber. Wildes Getuschel. Der Mann mit den dunklen Korkenzieherlocken und den vollen Lippen lächelt verlegen. Zum Glück wird er so gut wie nie erkannt. Man will es ihm zunächst nicht so recht glauben. Doch schnell wird klar: Der italienische Bassbariton, unschlagbar gut aussehend und doch frei von Macho-Gehabe, konzentriert sich tatsächlich auf das Wesentliche – die Musik. Ildebrando D’Arcangelo ist derzeit einer der besten Mozart-Sänger weltweit. Giovanni, Leporello, Guglielmo, Alfonso, Figaro und Conte – der italienische Bassbariton mit dem kräftig-dunklen Timbre hat sie in den letzten Jahren in den großen Häusern der Opernwelt zwischen Wien und London, Paris, New York und Mailand alle gespielt. In Salzburg sind in diesem Sommer alle Augen auf Ildebrando D’Arcangelo gerichtet: Er spielt hier den berühmtesten Schwerenöter der Musikgeschichte – Mozarts Don Giovanni.

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Die lange Reise nach Babylon

Bühne

Jörg Widmann (Foto: Marco Borggreve)

Jörg Widmann (Foto: Marco Borggreve)

Jörg Widmann ist viel unterwegs. Wie immer hat er einen Vorrat an Notenpapier eingepackt – zum Komponieren. Wie Elektroden schießen die Noten durch seinen Kopf und selbst, wenn er zu schlafen versucht, rumoren die Kontrabässe weiter. Widmann sitzt in einem Hotel in Würzburg, wo ihm heuer beim Mozartfest ein Schwerpunkt gewidmet ist. Am Abend eröffnet er ebendieses mit Mozarts Klarinettenkonzert. Widmann liebt Mozart, mehr als jede andere Musik, deshalb soll es heute auch nur um ihn gehen. „Vielleicht schaffe ich es ja in den nächsten Tagen mein Schreibgerät hervorzuholen“. Überragender Interpret und Klangschöpfer, inspirierender Dozent und Dirigent – Widmann ist alles zugleich, alles mit der gleichen Leidenschaft und Ernsthaftigkeit. Wenn es um die Musik geht, ist alles scheinbar Gegensätzliche vereint.

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