Schlagwort-Archiv: Wiener Konzerthaus

Aufwind in der Lothringerstraße

Matthias Naske (Foto: Sébastien Grébille / Philharmonie Luxembourg)

Matthias Naske (Foto: Sébastien Grébille / Philharmonie Luxembourg)

Als Matthias Naske vor gut einem Jahr Intendant des Wiener Konzerthauses wurde, trat er ein schweres Erbe an: über 6 Millionen Euro Schulden plagten das Haus, er selbst sprach damals von einer Bankrotterklärung. Gestern lud Naske gemeinsam mit Christian Konrad, dem Präsident der Wiener Konzerthausgesellschaft, zu einem Pressegespräch. Sie zogen Bilanz über die wirtschaftliche Entwicklung des Hauses und wagten einen durchaus positiven Ausblick auf die nächste Saison. „Das Geschäft läuft gut“, zeigte sich Matthias Naske erfreut. „Mit insgesamt 856 Veranstaltungen haben wir ein Plus von 15% gegenüber der Vorsaison erwirtschaften können“. 550.000 Besucher (plus 13%) kamen, 31.180 Abonnements (plus 8%) wurden verkauft. „Bei mehr als 85% Eigenfinanzierung hat das Konzerthaus im vorigen Jahr knapp 18 Millionen Euro erwirtschaftet“, so Präsident Christian Konrad, und man kann endlich wieder von „soliden schwarzen Zahlen“ sprechen. Gutes gibt es auch im Bereich der Subventionen zu berichten. Fest steht, dass das Kulturministerium seinen Beitrag von 1,1 Millionen auf 1,2 erhöhen wird und auch die Stadt – sie schießt derzeit etwas mehr als 1 Millionen zu – könnte im April nachziehen.

Ein positiver Trend, den es fortzuführen gilt. Wie? Zum einen mit einem kreativen, vielfältigen und hochkarätigen Musikprogramm. Zum anderen, sagt Matthias Naske, „müssen wir die Verletzlichkeit des Hauses Schritt für Schritt reduzieren“. Also wird der Beitrag für die 10.150 Konzerthausmitglieder um 5 Euro auf 65 Euro erhöht, gleichzeitig gibt es in Zukunft weniger Rabatt auf den Kauf von Abonnements und Einzelkarten. Außerdem sollen die Karten nicht mehr als Fahrschein der Wiener Linien gelten. Alles betriebswirtschaftliche Maßnahmen, die zur Absicherung der künstlerischen Integrität dienen und insgesamt 225.000 Euro in die Konzerthauskassa spülen – Geld, dass Matthias Naske umgehend in ein verbessertes Service investieren will. Ein neuer Webauftritt ist ebenso geplant wie die Möglichkeit seine Konzertkarten auch zu Hause auszudrucken. Mit dem so genannten „Zugabenservice“, können sich interessierte Besucher unmittelbar im Anschluss an das besuchte Konzert per SMS über die jeweiligen Zugaben informiert lassen.

Und wie steht es eigentlich um den 6,4-Millionen-Kredit, den das Konzerthaus bei der BAWAG bedient? Angesichts des niedrigen Zinsniveaus von einem halben Prozent lässt sich das Geld derzeit besser einsetzen, sagt Christian Konrad. Zum Beispiel in die Musikvermittlung. Für Matthias Naske ist der Gewinn ohnehin in erster Linie ein Mehrwert für die Gesellschaft. „Wir wollen die Menschen auch in Zukunft begeistern“. Mal sehen, was das Programm für die kommende Saison für Überraschungen bereithält. Mehr dazu in zwei Wochen.

Adventskalender 2014, Tür #22: Eine gut durchmischte Ménage à quattre

51KnSNcv-JLDas Streichquartett, Goethe nannte es einmal ein Gespräch von vier gebildeten Menschen, ist das anspruchsvollste unter allen kammermusikalischen Genres und gleichzeitig die intimste und direkteste Art zu spielen. Voraussetzung für diese Ménage à quattre ist, dass alle, trotz ihrer individuellen Vorlieben und Neigungen, am selben Strang ziehen, nämlich wunderbare Musik miteinander zu machen. Bei Sebastian Gürtler, Régis Bringolf, Thomas Selditz und Florian Berner ist sozusagen der Idealfall eingetreten. Die vier Herren bilden das Hugo Wolf Quartett, welches vor 20 Jahren gegründet wurde und heute zu den besten seiner Zunft zählt. Im Mittelpunkt seht lebendiges Musizieren und das nehmen die Vier wörtlich. Die Musik lebender Komponisten hat denselben Stellenwert wie die eines Schubert oder eines Beethoven; aus purer Lust und weil es spannend ist zu spielen, was im Hier und Jetzt passiert. So stellen die vier Herren auf ihrer CD „Tristans langer Schatten“ Wagners Vorspiel zu Tristan und Isolde in Beziehung zu Alben Berg und Anton Webern. Dass man sich vor dem Neuen nicht zu fürchten braucht, weiß man spätestens im Konzert. Seit einigen Jahren bestreitet das Hugo Wolf Quartett einen eigenen Zyklus im Schubert Saal der Wiener Konzerthauses und auch in diesem Jahr wird in jedem Konzert neben zwei „klassischen“ Werken auch ein zeitgenössisches Stück zur Aufführung gebracht. Die daraus entstehende Symbiose ist verblüffend und inspirierend zugleich, vorausgesetzt man lässt sich auf die vielen neuen Stimmungen und Gedanken ein. Das nächste Konzert steht unter dem Motto “Kontrapunkte”. Am 28. Februar erklingen Werke von Bach, Beethoven und Anton Webern  sowie die Uraufführung von “Anamorph IV” des Salzburger Komponisten Gerhard E. Winklers, einer musikalischen Projektion als Hommage an Peter I. Tschaikowsky. Vor jedem Konzert gibt es übrigens einführende Worte zu den jeweiligen Werken; danach kann man mit dem Quartett auf einen Drink gehen, in die Bar des Hotels Intercontinental, wo man mit den Musikern bei einem Gin Tonic über das eben Gehörte plaudern kann. In diesem Sinne: Cheers!

Musischer Adventskalender 2014, Tür #8: Jonas Kaufmann Superstar

Jonas KaufmannDie Überraschung ist groß, als vor einigen Wochen Post von Jonas Kaufmann im Postkasten liegt. Mit chicem Dreitagebart, schmachtendem Blick und altmodischem Mikrophon posiert der Tenor auf dem Cover seines neuen Albums „Du bist die Welt für mich“, nach dem gleichnamigen Hit von der Tenor-Legende Richard Tauber. Kaufmann singt jetzt Operette? Ja, und wie! Schon lange hat man diese Stücke nicht mehr so frisch und lässig gehört. Unterschätztes, dabei höchst forderndes Repertoire und jede Menge geniale Melodien, die Kaufmann mit viel Tiefgang interpretiert, ohne dabei die Leichtigkeit zu verlieren. Ob als großer Verführer in Lehárs Frasquita oder mit leicht verschmuster Peter-Alexander-Stimme in Abrahams Diwanpüppchen – Jonas Kaufmann findet für jede Stimmung den richtigen Ton. Rührend besingt er Kálmáns „Grüß mir mein Wien“, schmettert die unvergesslichen Gassenhauer der 30er-Jahre, à la „Dein ist mein ganzes Herz“ oder „Du bist die Welt für mich“ und schleudert zum Abschluss in Künnekes „Lied vom Leben des Schrenk“ noch ein hohes C hinaus. Dass die Melodien von Benatzky, Stolz und Abraham hier modern und leichtfüßig klingen, liegt nicht zuletzt an den sehr geschmackvollen, nah am Original geschriebenen Arrangements von Andreas M. Tarkmann sowie am wunderbar swingenden  Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Jochen Rieder. Und weil viele der Originale heute nicht mehr existieren, orientierte man sich eben an den verrauschten Aufnahmen von damals. Was die Operette angeht, so sei die Zeit reif für eine Revival, findet Jonas Kaufmann, vorausgesetzt man hat großartige Sänger und einen Regisseur, der den Charme, den Witz und die Ernsthaftigkeit dieser Stücke richtig verkaufen kann. Vielleicht erleben wir Jonas Kaufmann ja demnächst als Eisenstein in Strauss’ Fledermaus auf der Bühne oder als Graf Danilo in der Lustigen Witwe. Die Chancen dafür stehen gut. Mal sehen, wohin ihn die Reise als nächstes führt.

Kommenden Samstag (13. 12)  gestaltet Jonas Kaufmann einen Liederabend im Wiener Konzerthaus mit Werken von Robert Schumann und Richard Strauss, im Frühling (14. Mai) führt ihn seine Operettenreise im Rahmen der „Great Voices“ eben hierher. Gleich zwei Rollendébuts stehen bei den Osterfestspielen Salzburg an: als Turrido und als Canio in den beiden Einaktern von Mascagni (Cavalleria rusticana) und Leoncavallo (Pagliacci). Im Sommer kehrt Kaufmann als Florestan in Beethovens Fidelio nach Salzburg zurück.

 

Musischer Adventskalender 2014, Tür #6: Le nozze die Figaro

Le Nozze di Figaro Mit Andrei Bondarenko, Simone Kermes, Fanie Antonelou, Christian van Horn u.a.  MusicaAeterna Leitung: Teodor Currentzis Sony Classical 42 Euro.Die “Hochzeit des Figaro” zählt zu Mozarts populärsten Opern, es gibt unzählige Aufnahmen davon, manche besser, manche weniger gut. Teodor Currentzis, dem ein obsessiver Drang zur Perfektion nachgesagt wird, und der sich als schräger Außenseiter zunächst einen Namen als Musikdirektor an der Oper von Nowosibirsk machte, wurde nach Perm berufen, einer Stadt am Ural, wo er an der etwas angeranzten Oper für frischen Wind sorgen sollte. In Perm hat sich Currentzis auch vorgenommen, Mozarts drei Da-Ponte-Opern auf CD einzuspielen – der „Figaro” ist nun erschienen. Currentzis serviert uns einen Mozart, der frei und unverbraucht klingt und der in seiner Interpretation so radikal wie schlüssig ist. Das gemeinhin als „opernhaft” Bezeichnete – übertriebenes Vibrato und überzeichnete Affekte – gibt es hier nicht. Stattdessen hören wir einen Vortrag von größter Intimität und staunen über die herrlichen Ornamente, die seine Sänger (Simone Kermes, Andrei Bondarenko, Christian van Horn, Fanie Antonelou) verwenden. Das Orchester MusicAeterna spielt auf historischen Instrumenten, weil sie den straffen, klar definierten Klang liefern, der den Reiz dieser Musik ausmacht. Currentzis geht über die Grenzen hinaus und zeigt, was möglich ist, wenn man die Fabrikmentalität des Klassik-Mainstreams meidet. Die Aufnahme rundet ein üppiges Booklet ab, in dem er seine Ansichten über Mozart darlegt. Für mich eine der aufregendsten Produktionen der letzten Jahre. Am 20. Februar kommt Currentzis nach Wien und dirigiert das ORF Radio-Symphonieorchester Wien im Wiener Konzerthaus. Solist ist der russische Pianist Alexander Melnikow.

Begegnung im Herbst

Aaron Pilsan (Foto: Franck Juery / Naïve)

Aaron Pilsan (Foto: Franck Juery / Naïve)

Der Text entstand für das CD-Booklet bei Naive

Im Februar hörte ich Aaron Pilsan zum ersten Mal. Im prachtvollen Schubert-Saal des Konzerthauses gab er an der Seite von Schauspielerin Dörte Lyssewski sein Wien-Debüt. Gemeinsam gestalteten sie eine Matinee im Rahmen des Zyklus „Musik und Dichtung“ – sie las aus Arthur Schnitzlers Erzählung „Der Mörder“, er spielte Brahms und Schönberg. Kein Virtuosenfutter, sondern Musik, die zwischen versunkener Wehmut, keckem Schelm und dämonischem Schrecken, tief in die Abgründe der menschlichen Seele blicken ließ. Pilsan war gerade neunzehn geworden, ein schlanker Jüngling mit Smoking und Fliege, dunklem dichten Haar und einem schüchternen Lächeln auf den Lippen. Der Saal war bis in die hintersten Reihen gefüllt, sogar auf der Bühne hatte man Sesseln platziert, und die Mittagssonne schien den Menschen ins Gesicht, sodass manche ihre Augen schlossen, damit sie nicht geblendet werden. Als Aaron Pilsan die Bühne betrat, ging plötzlich ein Rascheln durch den Saal. Wer war dieser junge Mann? Weiterlesen