Begegnung im Herbst

Aaron Pilsan (Foto: Franck Juery / Naïve)

Aaron Pilsan (Foto: Franck Juery / Naïve)

Der Text entstand für das CD-Booklet bei Naive

Im Februar hörte ich Aaron Pilsan zum ersten Mal. Im prachtvollen Schubert-Saal des Konzerthauses gab er an der Seite von Schauspielerin Dörte Lyssewski sein Wien-Debüt. Gemeinsam gestalteten sie eine Matinee im Rahmen des Zyklus „Musik und Dichtung“ – sie las aus Arthur Schnitzlers Erzählung „Der Mörder“, er spielte Brahms und Schönberg. Kein Virtuosenfutter, sondern Musik, die zwischen versunkener Wehmut, keckem Schelm und dämonischem Schrecken, tief in die Abgründe der menschlichen Seele blicken ließ. Pilsan war gerade neunzehn geworden, ein schlanker Jüngling mit Smoking und Fliege, dunklem dichten Haar und einem schüchternen Lächeln auf den Lippen. Der Saal war bis in die hintersten Reihen gefüllt, sogar auf der Bühne hatte man Sesseln platziert, und die Mittagssonne schien den Menschen ins Gesicht, sodass manche ihre Augen schlossen, damit sie nicht geblendet werden. Als Aaron Pilsan die Bühne betrat, ging plötzlich ein Rascheln durch den Saal. Wer war dieser junge Mann?

Aaron Pilsan blickte ins Publikum und wartete geduldig bis es endlich still geworden war, senkte den Kopf während die Hände ganz leicht die Tasten berührten, als wollte er die Klänge erst erfühlen. Nach den ersten Tönen spürte man, dass hier etwas ganz Besonderes geschah: eine Begegnung, die aus dem Inneren des Musikers kommt und aus dem direkten Dialog mit dem Instrument und dem Publikum entsteht. Nennen wir es das Wunder Musik, weil sie unser Herz und unsere Seele so unmittelbar berührt.

Nach dem Konzert besuchte ich Aaron Pilsan im Künstlerzimmer, wir waren zum Mittagessen verabredet. In Jeans und T-Shirt wirkte er jünger, kindlicher. Er fragte mich, wie ich die Akustik im Saal empfunden und ob er nicht zu leise gespielt hatte. Nein, sagte ich, denn es war schön gewesen, Brahms´ Balladen endlich wieder in ihrer wunderbaren Schlichtheit zu hören, einfühlsam und ohne falschen Pathos. Aaron Pilsan versteht es auf seinem Instrument Geschichten zu erzählen. Ein ist ein sensibel interpretierender Tastendenker, bei dem die emotionalen Ausbrüche wohl dosiert erscheinen. Beim Essen frage ich ihn nach der richtigen Balance zwischen Klang und Technik. Er sprach von der Freiheit der Interpretation, um dem Moment der Inspiration Raum zu geben. So etwas lasse sich nicht bis ins letzte Detail planen. „Wie ich damit umgehe, hängt vor allem von meiner Intuition ab“.

Aaron Pilsan wurde in Dornbirn geboren, einer Stadt in Vorarlberg, dem westlichsten Zipfel Österreichs. Sie ist von Berggipfeln und Flüssen umgeben, ein herrliches, im Sommer saftig grünes Wandergebiet am Fuße des Bregenzerwaldes. Pilsans Mutter lernte ihren Mann, Aarons Vater, in Rumänien kennen. Er arbeitete damals als Reiseleiter in Bukarest und sie verliebte sich in ihn, als er ihr die Sehenswürdigkeiten der Stadt erklärte. Aaron war ein aufgewecktes und fröhliches Kind, das sich gerne Melodien ausdachte und sie vor sich hinsummte. Seine erste Unterweisung am Klavier erhielt er im Alter von fünf Jahren bei Iván Kárpáti an der Musikschule in Dornbirn. Klavierspielen macht ihm Spaß, die kleinen Vorspielabende ebenso, vom Drill vieler hochbegabter Kinder keine Spur. Aaron will damals Busfahrer, Pilot oder Erfinder werden, so wie die meisten Buben, wenn sie klein sind. Und er spielt so gut Schach, das er bald in der Staatsliga mitmischt. Mit zwölf Jahren spielt Aaron Pilsan Karl-Heinz Kämmerling bei einem Meisterkurs im benachbarten Lindau vor. „Warst du aufgeregt?“, frage ich ihn. „Nicht besonders“, antwortet er. „Hat es Kämmerling gefallen?“ Aaron Pilsan lächelt schelmisch. „’Schon gar nicht schlecht, aber noch lange nicht gut’, hat er zu mir gesagt und gemeint, ich solle zu ihm nach Salzburg kommen und die Aufnahmeprüfung am Mozarteum machen“.

In den darauffolgenden Jahren fährt Aaron Pilsans Vater seinen Sohn erst zwei Mal im Monat, dann immer öfter mit dem Auto nach Salzburg, bald kommen Meisterkurse und Auftritte hinzu. Pilsan gewinnt mehrere Wettbewerbe, unter anderem den „Prima la Musica“ und den Wendl & Jung Wettbewerb in Wien. Mit 16 Jahren wird er beim Wettbewerb „Ton und Erklärung“ in München für die beste Liszt Interpretation ausgezeichnet und das renommierte Magazin Fono Forum wählt ihn 2011 zum besten Nachwuchskünstler des Jahres. Ich möchte von ihm wissen, wie wichtig Wettbewerbe für die eigene musikalische Entwicklung sind. „Wettbewerbe bieten uns Künstlern eine wichtige Plattform. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie Momentaufnahmen sind und nicht immer die Aussagekraft über Können und Nichtkönnen haben, die ihnen beigemessen wird“.

Vor kurzem ist Aaron Pilsan nach Hannover gezogen, wo er jetzt bei Lars Vogt studiert. Schach spielt er schon lange nicht mehr. Stattdessen hat er auf seinem Handy eine Liste mit Dingen, die er machen will: Spazieren gehen, Sport machen, ein Buch lesen – als Ausgleich zum Klavierspiel und um den Kopf wieder frei zu bekommen. Ich frage mich, wie man als junger Musiker mit dem Druck zurechtkommt, der schon manchen wie eine Lawine überrollt und unter sich begraben hat. „Heute wird von den Künstlern absolute Perfektion erwartet. Ich habe keine Angst davor, Fehler zu machen. Die glücklichsten Momente erlebe ich, wenn ich es schaffe, mich auf der Bühne fallen zu lassen und alles um mich herum zu vergessen.“

Mittlerweile spielt Aaron Pilsan 25 Konzerte pro Jahr und war unter anderem schon Gast beim Menuhin Festival Gstaad, bei der Schubertiade, den Schwetzinger Festspielen und dem Kissinger Sommer. Er liebt die großen Romantiker wie Brahms und Schubert, genießt die delikaten Klänge bei Chopin und schätzt Beethoven, mit dem er groß geworden ist, über alle Maße. Er ist glücklich, dass ihn Martha Argerich bei sich zu Hause in Brüssel empfangen hat und dankbar für die wichtigen Impulse, die ihm Alfred Brendel und Andras Schiff mit auf den Weg gegeben haben.

Zur Zeit liegen auf Aaron Pilsans Klavier neben Beethoven und Schubert auch Noten von Bach, Schumann, Haydn und Jörg Widmann. Partituren, denen er sich langsam nähert, auf der Suche nach den Geheimnissen, die sich im Text verbergen. „Ich bereite mich auf meine erste richtige Europa-Tournee vor“, sagt er, die ihn als „Rising Star“ der European Concert Hall Organisation in der kommendes Saison an alle bedeutenden europäischen Konzerthäuser führen wird. Eine Ehre, die vor ihm schon Igor Levit und Khatia Buniatishvili zuteil wurde.

Als wir bei der Nachspeise angekommen sind, frage ich Aaron, wann er die Entscheidung getroffen hat, Pianist zu werden. Er sieht mich etwas verdutzt an. „Das habe ich doch gar nicht. Ich spiele einfach gerne Klavier. Ob das immer so bleiben wird? Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich irgendwann Lust zu komponieren. Oder ich mache ganz was anderes. Mal sehen, was die Zukunft bringt“. Ich hoffe insgeheim, dass es noch sehr viel Musik sein wird.

 

Aaron Pilsan Beethoven & Schubert Naive

Aaron Pilsan
Beethoven & Schubert
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