Barock mit Turboprop

Falter

Simone Kermes (Foto: Christian Wind)

Dunkle Röhrenjeans, irre hohe Heels, fetziges Shirt. So wie Simone Kermes zum Interview am Flughafen Schwechat erscheint, denkt man eher an einen Popstar als an eine Sängerin aus dem klassischen Fach. Am rechten Ringfinger trägt sie einen fetten goldenen Totenkopfring. „Der ist von Alexander McQueen. Er wollte, dass ich bei seiner letzten Show in Paris singe. Dann hat er sich umgebracht. Beim Konzert gestern habe ich übrigens einen Stoff von ihm angehabt.“

Gestern, das war bei den Haydn-Festspielen in Eisenstadt, wo Simone Kermes ein Programm mit Duetten hätte singen sollen, als sie aufgrund einer plötzlichen Erkrankung ihrer Gesangspartnerin im letzten Augenblick umdisponieren musste. „Manchmal musste eben den Arsch zusammenkneifen“, merkt sie in breitem Sächsisch an.

Die Kermes steht auf Rammstein und die isländische Band Sigur Rós. „Ich war total aus dem Häuschen, als sie nach meinem Konzert in Reykjavík zu mir hinter die Bühne gekommen sind. Da stehen plötzlich deine Idole vor dir und wollen ein Autogramm, irre!“ Und vom Rock hat sie wohl einiges in Sachen Bühnenpräsenz gelernt. Wenn Simone Kermes singt, dann tut sie das buchstäblich mit dem ganzen Körper. Sie stampft auf, geht in die Knie, kreist mit den Hüften, improvisiert nach Lust und Laune und kostet jede einzelne Phrase aus. Zwar beteuert sie, dass die Kunst stets im Mittelpunkt sei, aber einfach nur auf der Bühne zu stehen, sei ihr zu langweilig: „Ich will die Menschen mit der Musik mitten ins Herz treffen, sie von den Stühlen reißen. Wenn ich rausgehe, spüre ich sofort, wie das Publikum drauf ist. Manchmal springt der Funke gleich über, manchmal muss man kämpfen.“

Schon mit fünf träumte Simone Kermes davon, auf einer großen Bühne mit roten, schweren Samtvorhängen zu stehen. Später lieh sie sich Platten mit Maria Callas und Gundula Janowitz aus und sang alles mit, von der „Traviata“ bis zur Elisabeth aus dem „Tannhäuser“. „Ich habe mir alles in der Bibliothek ums Eck besorgt. Meine Eltern wollten einfach nur, dass ich Abitur mache.“ Als plötzlich ihr Vater starb, brach Kermes die Schule ab, machte eine Ausbildung zum „Facharbeiter für Schreibtechnik“, wurde mit 17 schwanger, arbeitete als Sekretärin im Leipziger Fernmeldeanlagen- bau und schaffte trotz Job und Kind den Sprung an die Musikhochschule Leipzig. „Ich hab für meinen Traum gekämpft, verstehste?“

Als ihr kurz nach dem Studium die „Königin der Nacht“ angeboten wurde, lehnte Kermes ab, weil sie keine Lust hatte, so früh in eine Schublade gesteckt zu werden. Man müsse sich eben trauen, einmal Nein zu sagen, auch bei tollen Angeboten; vor allem dann, wenn die Stimme noch nicht so weit ist, „sonst kann das mit der Karriere ganz schnell vorbei sein“. Ihr bislang einziges festes Engagement führte sie ans Theater in Koblenz, „eine wichtige Zeit, in der ich mich so richtig austoben und mein Fach finden konnte“. Nach drei Jahren war trotzdem Schluss. Seither hat sie kein Intendant mehr an sein Haus binden können. „Ich bin nicht dazu da, den Egotrip irgendeines ideenlosen Regisseurs zu befriedigen, dem die Musik scheißegal ist.“

Das mag wohl auch der Grund sein, warum man die Kermes auf der Opernbühne nur mehr in handverlesenen Produktionen erlebt. Zum Beispiel in Russland, wo sie vergangenes Jahr in Mozarts „Così fan tutte“ zu hören war, aber erst nachdem sie Teodor Currentzis, dem Dirigenten, das Versprechen abgerungen hatte, die Oper „ohne krampfhafte Modernisierungen“ zu machen – „hervorragend musiziert, mit schönen Kostümen und historischen Instrumenten. Da hatte ich wie- der so richtig Bock auf Oper.“ Dem Prädikat „schwierig“ begegnet Simone Kermes amüsiert mit dem Hinweis, dass die meisten „schwierig“ wohl mit „professionell“ verwechselten. Authentische Persönlichkeiten vom Schlag einer Elisabeth Schwarzkopf oder eines Dietrich Fischer-Dieskau gebe es heute kaum noch. „Wer nur an schnellen Erfolg und schnelles Geld denkt, geht irgendwann mal krachen.“

Als Kermes vor ein paar Jahren kein Label für ihr Album „Lava“ fand, produzierte sie die CD mit Werken aus der sogenannten Neapolitanischen Schule auf eigene Kosten. „Lava“ verkaufte sich prächtig, und das obwohl Cecilia Bartolis Major-Label-Produktion „Sacrificium“, auf der die Römerin dasselbe Repertoire vergessener Arien von Hasse bis Porpora singt, fast zeit- gleich erschien. Dass sich die beiden mittlerweile den Titel „Königin des Barock“ in den Medien teilen müssen, quittiert Simone Kermes mit einem milden Lächeln. „Es ist doch genug Platz für alle da.“