Kühler Kopf und brennendes Herz

Die polnische Pianistin Aleksandra Mikulska

Die polnische Pianistin Aleksandra Mikulska

Lisztfestival Magazin Raiding

Am Karfreitag hat es Aleksandra Mikulska nach Warschau geschafft, endlich. Hinter ihr liegen mehrere Konzerte und sie ist froh, im Kreise ihrer Familie zu sein. „Mittlerweile schaffe ich es leider nur mehr an Weihnachten und zu Ostern“, sagt sie und erwähnt, dass der Konzertkalender voll und die Anreise aufwendig ist. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Juristen, lebt sie in einem Haus im Grünen, in der Nähe von Karlsruhe. „Dort kann ich zu jeder Tages- und Nachtzeit üben“, lacht sie, „und wenn ich den Kopf frei bekommen möchte, gehe ich in den Garten oder mache eine Runde im Wald. Hier finde ich Ruhe und Inspiration“. Deutschland ist für Aleksandra Mikulska so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Mit 19 Jahren kam sie aus Polen hierher, um Pianistin zu werden. „Ich habe schon als kleines Mädchen davon geträumt, auf der Bühne zu stehen und Klavier zu spielen“, sagt sie.

Geboren wurde Aleksandra Mikulska 1981 in Warschau. Ihr Vater ist Diplomingenieur, ein „mathematischer Kopf“, ihre Mutter Literaturwissenschaftlerin. Während andere Kinder in ihrem Alter mit Puppen spielten, stöberte sie am liebsten in der Schallplattensammlung ihrer Großmutter. Gemeinsam lauschten sie den alten Aufnahmen, allen voran den Klavierkonzerten von Tschaikowski und Chopin, die Aleksandra Mikulska bald auswendig vor sich hinsummen konnte. Mit sechs Jahren kommt sie an die Warschauer Musikschule. Die Aufnahmeregeln sind streng und der Andrang groß: für 300 Kinder gibt es gerade einmal 20 freie Plätze. „Nachdem eine Kommission Rhythmusgefühl und Musikalität beurteilt hatte, wurden unsere Hände untersucht, um festzustellen, für welches Instrument sie am geeignetsten sind“. Aleksandra Mikulska hat Glück. Sie wird in die Klavierklasse aufgenommen, da wartet schon die nächste Hürde: ein Instrument muss her, das ist nicht nur teuer, sondern soll auch noch in den 10. Stock eines kommunistischen Plattenbaus mit winzigem Aufzug und schmalem Treppenhaus transportiert werden. Als die Eltern zögern, stellt sich die Großmutter hinter ihre Enkelin: „Das Klavier muss da rauf, damit das Kind spielen kann!“

Aleksandra Mikulska lernt schnell, so schnell, dass ihr Musikschullehrer sie fördert, wo er nur kann. Als Aleksandra Mikulska mit acht Jahren zum ersten Mal auf einer Bühne steht und vor Publikum spielt, ist sie beglückt und die Lehrerschaft beeindruckt. Wer ist dieses kleine, zarte Mädchen, das mit solch tiefer Musikalität und ungezwungener Reife alle zu verzücken vermag? „Für mich war die Musik ein natürliches Bedürfnis, mehr noch eine Lebensnotwendigkeit“. Als Aleksandra Mikulska 14 Jahre alt wird, wechselt sie an die Hochbegabtenklasse des polnischen Landesgymnasiums Karol Szymanowski. Noch vor ihrem Abitur folgt eine entscheidende Begegnung: der deutsche Klavierpädagoge Peter Eicher ist von der Musikhochschule Karlsruhe nach Warschau gekommen, um hier einen Meisterkurs zu leiten. Auch Aleksandra Mikulska spielt ihm vor, die a-Moll-Sonate von Mozart, damals eines ihrer Lieblingsstücke. „Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass sich eine ganz neue Welt vor mir auftut. In Polen haben wir hinter dem Eisernen Vorhang gelebt und es gab, mit Ausnahme der Sowjetunion, kaum Einflüsse von außen. „Chopin war in Polen so etwas wie ein Nationalheiligtum. Alles hat sich nur um ihn gedreht. Sich als Künstler frei zu entfalten war fast unmöglich“.

Aus Protest meidet Aleksandra Mikulska die Musik ihres Landsmannes und spielt stattdessen lieber Mozart, Beethoven und Brahms. Doch bald nimmt ihr das Korsett, in dem sie sich befindet, die Luft zum Atmen, sie will hinaus in die Welt, gierig nach neuen Impulsen und Perspektiven. Ein Jahr nach dem Meisterkurs, verabschiedet sich Aleksandra Mikulska von ihrer Lehrerin in Warschau und pendelt für die nächsten drei Jahre gemeinsam mit ihrer Mutter jeden Monat für ein paar Tage nach Deutschland, wo sie von Peter Eicher unterrichtet wird. 2000 packt die frisch gebackene Abiturientin endgültig ihre Koffer und zieht nach Karlsruhe, um an der dortigen Musikhochschule zu studieren. Es folgen zahlreiche Wettbewerbe und Preise sowie Meisterkurse, unter anderem bei Diane Andersen und Lev Natochenny.

Bei Peter Eicher, einst Schüler Kurt Leimers und Vertreter der so genannten „Wiener Schule“, spielt sich Aleksandra Mikulska durch das Repertoire der deutschen Klassiker und Romantiker, entdeckt den „wunderbaren“ Haydn und lernt die Musik Frédéric Chopins neu kennen. Nach dem Diplom zieht die junge Pianistin ins italienische Imola, wo Lazar Berman, Boris Petrushansky und Michael Dalberto zu ihren wichtigsten Impulsgebern werden. In Hannover holt sie sich den letzten Schliff beim israelischen Pianisten und Musikpädagogen Arie Vardi. „Er hat mich menschlich wie auch musikalisch nachhaltig geprägt. Vardi, der selbst auch dirigiert, hat mir sein philosophisches Verständnis vermittelt und eine neue Sicht auf die Musik eröffnet, weit weg von Show und Akrobatik. Dazu kommt ein großer praktischer Erfahrungsschatz, was „Performance“ und die Tücken des Künstlerlebens betrifft“.

Mit den „Tücken“ des Künstlerlebens ist Aleksandra Mikulska mittlerweile bestens vertraut, an die 50 Konzerte gibt sie pro Jahr, eine gute Zahl, um sich und die Musik nicht aus den Augen zu verlieren. Zu Chopin hat Aleksandra Mikulska inzwischen eine innige Beziehung. Weil sie Polin ist, natürlich, und ihr seine Musik in die Wiege gelegt wurde. Aber da ist noch mehr: Chopins Musik, sagt Aleksandra Mikulska, spricht direkt von Herz zu Herz. „Kein anderer Komponist hat alle Facetten der menschlichen Seele so klar ausdrücken können wie er. Chopin wird nie langweilig. Wir haben in der Chopin-Gesellschaft in Darmstadt unlängst einen 16-stündigen Chopin-Marathon veranstaltet. Das Publikum war begeistert. Chopin hat sehr ehrliche, sehr authentische Musik geschrieben, der man sich nicht entziehen kann. Man muss sich berühren lassen“.

In Raiding wird Aleksandra Mikulska Werke ihres polnischen Landsmannes spielen, die sie mit jenen Franz Liszts kombiniert. Beide lernten einander um 1830 in Paris kennen, und während Liszt durch seine Auftritte das Publikum überwältigen konnte, schreckte Frédéric Chopin, selbst ein herausragender Komponist und Pianist, ängstlich davor zurück. „Dabei waren die beiden einander vielleicht doch näher, als wir denken“, sagt Aleksandra Mikulska, „schließlich war Liszt die bloße Zurschaustellung brillanten Pomps ebenso zuwider, wie pianistische Hexenkünste nur um des Effektes willen“. Ihr Konzert eröffnet die Pianistin deshalb mit Liszts nach innen gekehrter, lyrischer Suite „Glanes de Woronice“. Zugleich schließt sie den Kreis zu Polen und Frédéric Chopin: „In den „Mélodies polonaises“ verarbeitet Liszt ein polnisches Volkslied, das vor ihm schon Chopin in den polnischen Liedern für Stimme und Klavier vertont hatte“.

Perlende Läufe, hagelgleiche Triller, blitzende Arpeggien und donnernde Akkorde – „als Pianistin habe man es nicht gerade leicht bei Liszt“, sagt Aleksandra Mikulska und erklärt, dass manche seiner Werke bis an die Grenze des technisch Machbaren gehen. „Dazu zählt die Sonate in h-Moll, aber auch seine „Rhapsodie espagnole“, die ich in Raiding spielen werde“. Das Werk entstand 1863 in Rom und ist eines der letzten Beispiele für Liszts virtuosen Stil. „Wobei die viel größere Herausforderung hier wahrscheinlich die intellektuelle Ausdauer ist“, so die Pianistin. „Mit seiner improvisatorischen Art springt Liszt von Thema zu Thema, von Figur zu Figur, er setzt Triller, chromatische Läufe und Oktaven ein, man muss sich schnell umstellen können und vor allem seine Kräfte richtig einteilen“. Eine Gradwanderung, denn Aleksandra Mikulska lässt sich am liebsten von den Gefühlen des Augenblicks leiten. „Es ist schwer einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn das Herz brennt“.

Dass ihr Name heute untrennbar mit der Musik Frédéric Chopins verbunden ist, stört Aleksandra Mikulska nicht. „Seine Musik ist für mich etwas Besonderes, ihre Emotionen sind mir sehr nahe. Dazu zählen die Melancholie und die Traurigkeit. Auf der anderen Seite gibt es Werke, die von unglaublicher Schönheit, Freude und Kraft inspiriert sind“. Neben ausgewählten Noctures und Mazurken, spielt Aleksandra Mikulska auch Chopins brillantes Scherzo in b-Moll und erklärt, dass die ‚Grande Polonaise brillante’ in Es-Dur mit dem vorangestellten ‚Andante spianato’ zu den kühnsten Stücken Chopins gehört. „Hier stehen die technische Brillanz und feierliche Form ebenso im Mittelpunkt wie der Inhalt. Chopin war ebenso virtuos wie Liszt poetisch. Das verbindet diese zwei großen Komponisten mehr als alles scheinbar Gegensätzliche“.

Sonntag, 14. Juni 2015, 11 Uhr
Franz Liszt Konzertsaal Raiding

Programm:

F. Liszt: Ungarische Rhapsodie Nr. 11
F. Liszt: Rhapsodie espagnole
F. Liszt: Konzertetüde: La Leggierezza
F. Liszt: Glanes de Woronince
F. Chopin: Mazurken:
Nr. 3 Des-Dur op. 30
Nr. 4 b-moll op. 24
Nr. 3 cis-moll op. 63
F. Chopin: Fantaisie-Impromtu cis-moll op. 66
F. Chopin: Scherzo Nr. 2 b-moll op. 31
F. Chopin: Andante spianato et grande polonaise brillante Es-Dur op. 22

Liszt Festival Raiding