Liebe, Verzweiflung und der Mond

 

Rupert Enticknap, Countertenor (Foto: Joshua Lawrence)

Nach wochenlangen Proben, kam er doch noch, der Anruf: David Daniels, der Hauptdarsteller in „Radamisto“ war erkrankt, ausgerechnet vor der letzten Aufführung. Rupert Enticknap erinnert sich noch ganz genau, es war frühmorgens und die Überraschung groß. Nervosität? Natürlich, schließlich sollte es der erste Auftritt im Theater an der Wien sein und das gleich in einer Titelrolle. Doch der Sprung ins kalte Wasser sollte sich lohnen: eine fulminante Feuertaufe für den 26-jährigen und ein wichtiger persönlicher Erfolg.

„Mit René Jacobs zu arbeiten war eine großartige Erfahrung. Es war aufregend zu sehen, wie weit ich mit meiner Stimme gehen kann“. Trotzdem soll es erst einmal dabei bleiben. Rupert Enticknap will sich Zeit lassen. „Als Sänger darf man die Dinge nicht überstürzen, das Risiko für die Stimme ist zu groß“, sagt er in distinguiertem Oxford-Englisch. Dabei steckt der Brite gerade mitten in den Proben zu Orlando, der in der Kammeroper im Mai auf dem Programm steht. Wieder singt er die Titelpartie. Die Intimität der Bühne behagt ihm, ebenso wie die Rolle, die seiner tiefen Counterstimme liegt.

Dass er in Wien ein festes Engagement an einem Opernhaus bekommen hat, sei ein echter Glücksfall. „Auch wenn der Counter heute schon fast Mainstream geworden ist, sind hohe Männerstimmen auf den großen Bühnen nach wie vor selten vertreten. Barockopern gehören an den großen Häusern nicht zum Standardrepertoire und wenn doch eine auf dem Programm steht, müssen Spezialisten her, zum Beispiel Countertenöre, die aber kaum in festen Ensembles vertreten sind. Auch, weil sie außerhalb des Barocks noch längst nicht als salonfähig gelten. Dabei vergessen die meisten, dass gerade in der zeitgenössischen Oper Countertenöre gefragt sind“. Und Rupert Enticknap selbst? Als Bub sang er in diversen Kinderchören, dann kam der Stimmbruch. Enticknap experimentierte mit unterschiedlichen Stimmlagen und landete immer wieder bei den höhen Tönen. Als er vor der Wahl stand Komposition oder Gesang zu studieren, wählte er Zweiteres, aus dem Bauch heraus – „es fühlte sich natürlich an“.

In eine Schublade stecken lassen will sich Rupert Enticknap dennoch nicht. Für sein Porträtkonzert an der Kammeroper widmet er sich der kleinsten und feinsten Gattung der Musik, dem Lied. Auf Opernarien hingegen verzichtet er ganz bewusst. „Im Gegensatz zu Verdi, Bellini oder Donizetti, wo der Klavierpart orchestraler klingt, wirkt eine Händelarie auf der Konzertbühne ohne Instrumente wie aus dem Zusammenhang gerissen“. Zum Auftakt wendet sich Rupert Enticknap als Hommage an seine Heimat zunächst selten gespielten Songs von Henry Purcell, John Dowland und Michael Tippet zu. „Nach den delikaten Liedern von Purcell und Dowland, in denen es um Liebe und Verzweiflung geht, kann ich mich bei Tippet auf der Bühne so richtig austoben. Seine Shakespeare-Lieder sind sehr theatralisch, fast schon ein bisschen exzentrisch“. Nach der Pause dreht sich alles um den Mond: schwerromantisch bei Schumanns Liederkreis op. 39 oder Mendelssohn-Bartholdys Mondlied, modern bei Olga Neuwirths „Tintarella di luna“.

Was macht eigentlich das Faszinosum Counter aus? Woher kommt der plötzliche Boom der vergangene Jahre? Und warum werden in der zeitgenössischen Oper so gerne Rollen mit Falcettstimme besetzt? „Die größten Stars im 17. Jahrhundert waren die Kastraten, die Frauen- wie Männerpartien sangen. Das Zweideutige, Undefinierbare zieht auch heute noch die Menschen an, auch wenn wir Countertenöre heute zum Glück nicht mehr als verrückte Exoten gelten“.