Musik mit sozialer Verantwortung

Falter

Manfred Honeck (Foto: Felix Broede)

 

 

 

 

 

 

 

 

Clean und chic, so lässt sich Downtown Pittsburgh kurz und bündig beschreiben. Eine Skyline aus Wolkenkratzern mit aufpolierten Glasfronten, gepflegte Parkanlagen und restaurierte viktorianische Häuser prägen das Zentrum der Stadt. Das war nicht immer so. Noch vor 35 Jahren brannten die Straßenlaternen hier auch tagsüber, weil derart viel Ruß in der Luft lag. Mehr als ein Jahrhundert lang wurden in Pittsburgh Eisen, Stahl und Kohle produziert. Mit dem Niedergang der Schwerindustrie Anfang der 1980er musste sich die Stadt allerdings neu erfinden. Statt Stahl produziert man heute Hightech-Innovation – einschließlich grüner Technologie, Bildung, Forschung und Entwicklung. 2009 kürte der Economist Pittsburgh zur „lebenswertesten Stadt der USA“; Forbes zählt sie zu den „zehn saubersten Städten weltweit“.

Dabei hat die Geschichte deutliche Spuren in der Stadt hinterlassen. Die alten Industriegebäude zeugen ebenso von der Vergangenheit wie die vielen Brücken und die Zahnradbahnen, die einst die Arbeiter von ihren Häusern auf den umliegenden Hügeln hinunter nach Pittsburgh brachten. Das kulturelle Wahrzeichen der Stadt ist neben dem Andy Warhol Museum das Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) – eines der besten Orchester weltweit. Im Lauf seiner Geschichte war es Wirkungsstät- te zahlreicher großer Dirigentenpersönlichkeiten, darunter Otto Klemperer, Lorin Maazel, André Previn und Mariss Jansons. Seit 2008 führt Manfred Honeck diese Tradition weiter. Das Repertoire des Orchesters reicht von Barock über Klassik und deutsche Romantik bis zu zeitgenössischer Musik. Das Aufregende am Klang der Pittsburgher ist die Verbindung amerikanischer und europäischer Musiktugenden: Virtuosität und hin- reißende technische Brillanz eint das PSO mit Emotionalität und orchestraler Transparenz.

Gegründet wurde es 1896 von Andrew Carnegie, der nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer war, sondern auch einen ausgeprägten Sinn für die schönen Künste hatte. Diese Tradition der Kulturförderung hält sich bis heute. Denn staatliche Subventionen für Kunst und Kultur gibt es in den USA so gut wie keine. Museen, Theater und Opernhäuser finanzieren sich zum größten Teil aus privaten Spenden, oft auch noch zusätzlich aus Kulturfördergeldern von Unternehmen; ohne die Finanzspritzen aus privaten Kassen könnte kein Klangkörper in den USA überleben.

Der „National Endowment of the Arts“, der staatliche Kulturfonds, hat einen verschwindend geringen Jahresetat, der die Kulturinstitutionen zwingt, ihre Mittel selbst einzutreiben. „Um möglichst viele Tickets zu verkaufen, müssen wir künstlerisch einige Zugeständnisse machen“, sagt Manfred Honeck, der Chefdirigent des PSO. „Mit besonders ausgefallenen Programmen halten wir uns momentan zurück. Der Saal muss voll sein.“

Dass sich die Stadt mit ihren 300.000 Einwohnern überhaupt ein derartiges Ensemble leisten kann, liegt an der Großzügigkeit der Pittsburgher, die ein Interesse daran haben, „ihr“ Sinfonieorchester auf hohem Niveau zu halten. Elsie und Henry Hillman, zwei lokale Mäzene, gründeten 2007 etwa den Hillman-Stiftungsfonds mit einem Startkapital von 5,5 Millionen Dollar – Geld, das ausschließlich den Auslandsreisen des Orchesters zugu- te kommt.

Zu Hause ist das PSO im „Cultural District“ von Downtown Pittsburgh. Mitte der 1960er-Jahre erwarb die Heinz-Stiftung ein ehemaliges Stummfilmkino und baute es zu einem Konzertsaal mit 2700 Plätzen um. Seitdem heißt das prachtvolle Gebäude Heinz Hall, in ihr fand das PSO seine Heimstätte. Ein echter Luxus in den krisengebeutelten USA, wo auch die Orchestereliten vielfach ums Überleben kämpfen müssen. Das Engagement für die Gemeinschaft gilt in Amerika allerdings fast als selbstverständlich. „Besonders wer Erfolg hat, fühlt sich verpflichtet, etwas davon zurückzugeben“, sagt Mildred Myers. Seit acht Jahren sitzt die Universitätsprofessorin für Wirtschaftskommunikation im Kuratorium des PSO. „Auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten ist sich das Orchester seiner Verantwortung bewusst.“

Dass in Pittsburgh nicht alles glänzt, wird rasch klar, wenn man das aufpolierte Wirtschafts- und Kulturzentrum der Stadt verlässt. Wilkinsburg, ein Außenbezirk im Osten Pittsburghs, war früher ein belebter Stadt- teil, heute kämpft die Bevölkerung mit Armut und Kriminalität. Heruntergekommene Häuser säumen die Straßen, viele Gebäude stehen leer. Im Rahmen von „Community Outreach“- Projekten setzt sich das PSO für den Musikunterricht in Schulen ein, spendet Instrumente und veranstaltet regelmäßig Workshops. Für junge afro-amerikanische Musiker wurde ein spezielles Trainingsprogramm entwickelt, um die Chancen auf eine Stelle im Orchester zu erhöhen. „Musikerziehung und soziale Verantwortung gehören zu unserer Mission“, sagt Mildred Myers. „Kunst ist entscheidend für unsere Gesellschaft. Jeder Amerikaner sollte die Chance haben, daran teilzuhaben.“ Eine schöne Utopie – die zumindest in Pittsburgh ein Stück weit Wirklichkeit wird.