“Bio ist ein Propagandainstrument geworden”

Universum Magazin

Werner Lampert

Werner Lampert

Werner Lampert veränderte mit „Ja! Natürlich“ Österreichs Bio-Welt. Mit dem Universum Magazin sprach der Lebensmittel-Pionier über die Entwicklung der Bio-Bewegung, sein jüngstes Projekt für den Diskonter Hofer und darüber, dass „Bio“ nicht gleich Qualität ist.

Herr Lampert, vor 20, 30 Jahren galten Menschen wie Sie als Spinner. Heute gibt es fast an jeder Ecke einen Bio-Supermarkt. Macht Sie diese Entwicklung glücklich?

Als ich mich entschieden habe, Bio in den Supermarkt zu bringen, haben gerade einmal 0,2 Prozent der Österreicher biologisch eingekauft. Anfang der Neunzigerjahre war „Bio“ Teil einer kleinen eingeschworenen Gemeinschaft, die ihre Produkte ausschließlich in Naturkostläden vermarktete. Wenn du da reinkamst, wurdest du erst mal von oben bis unten gemustert. Erst wenn du den Check überstanden hattest, warst du als Kunde akzeptiert. Das hatte tatsächlich etwas Sektiererisches an sich. Ich wollte Bio da rausholen, damit die Bewegung nicht ganz ins Abseits gerät. Dass der Sprung in den Supermarkt eine Entwicklung initiiert, die nicht immer optimale Lösungen parat hat, habe ich recht bald erkannt.

Zum Beispiel?

Je größer das öffentliche Interesse für Bio-Produkte wurde, umso mehr ist die Kraft in die Ertragssteigerung gegangen. Es gab keine inhaltliche Fortentwicklung mehr. Plötzlich sah ich mich neben einer Bewegung stehen, die ich nicht mehr nachvollziehen konnte. Damals habe ich begriffen, dass es unterschiedliche Qualitäten geben wird.

Auf dem Bio-Markt?

Ja. Die Vorstellung, dass Bio automatisch Umweltschutz bedeutet, ist ja absurd. Trotzdem muss dieser Gedanke aufrechterhalten werden, weil die EU-weiten Förderungen für biologischen Landbau unter der Initiative für ökologische Bewegungen fungieren.

Also ein Marketing-Schwindel …

Ursprünglich nicht. Der Gedanke, dass es zwischen ökologischer und biologischer Landwirtschaft einen Unterschied geben könnte, war damals für mich unvorstellbar.

Wann ist denn diese Symbiose verloren gegangen?

Zum einen hat der plötzliche Bio-Boom ganz neue Anforderungen an die Bauern gestellt. Zum anderen gab es wohl ein grundlegendes Kommunikationsproblem. Konventionelle Landwirtschaft bedeutete, dass etwa Kunstdünger verwendet werden, während das bei biologischem Anbau nicht erlaubt war. Die Botschaft lautete: In Bio ist all das Gute vereint – Umweltschutz, Ökologie, Nachhaltigkeit. Gerade die Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der unbedingt neu definiert werden muss.

Inwiefern?

Wenn wir zum Beispiel Soja aus Südamerika für die Rinderfütterung einsetzen, ohne über die Auswirkungen nachzudenken, die der Sojaanbau für die dortige Umwelt und Bevölkerung hat. Der Transport ist dabei eine vernachlässigbare Belastung. Ein anderes Beispiel: Nehmen wir an, dass ein Apfel aus Neuseeland eine günstigere CO2-Bilanz aufzuweisen hat, als ein Apfel, der in Österreich angebaut wird und anschließend gelagert werden muss. Das hieße ja, dass wir keine (lagerfähigen) Äpfel mehr brauchen. Damit gingen aber ein jahrhundertealtes Wissen ebenso wie eine Kulturlandschaft und ein regionales Leben verloren!

Dennoch, Bio-Produkte kommen immer öfter aus Argentinien, Südafrika und China. Entstanden ist ein weltweiter Bio-Handel, der eigentlich gewaltig an den Grundregeln vorbeischießt.

Das stimmt wohl. Wenn man Richtlinien standardisiert, so dass sie weltweit angewen- det werden können, gibt es für regionale Besonderheiten oder besonders ökologische Konzepte keinen Platz mehr. Die Produkte müssen gleichwertig sein, um miteinander konkurrenzieren zu können.

Und die Qualität?

Beim Wort „Qualität“ muss man immer vorsichtig sein. Nahezu hundert Prozent der biologischen Milch in Österreich kommen zum Beispiel aus Silage-Betrieben. Das bedeutet, dass das Gras nicht mehr zum Blühen kommt, sechs bis sieben Mal im Jahr gemäht wird und die Biodiversität vollkommen verloren geht. Für Flora und Fauna hat das katastrophale Auswirkungen.

Eine wesentliche Wende in der Landwirtschaft ist also ausgeblieben.

Der Idealismus ist verloren gegangen. Das Gefälle zwischen dem ursprünglichen Gedanken und den wirtschaftlichen Erwartungen war nicht mehr zu überwinden. Was wir jetzt brauchen, ist eine Rückbesinnung.

Ist eine Umkehr denn realistisch?

Bio ist zu einem Propagandainstrumentarium geworden, um Kunden zu locken. Der Impuls, Bio zu kaufen, ist nach wie vor ein rein emotionaler. In den Augen der meis- ten Konsumenten sind Bio-Produkte einfach anständiger. Warum sie letztendlich Bio kaufen und was das eigentlich bedeutet, wissen nur die wenigsten. Aber wie soll mandenn über Inhalte sprechen, wenn diese selbst in der Landwirtschaft an Gültigkeit verloren haben?

Warum besinnt man sich denn so spät auf diese inhaltliche Debatte?

In den Neunzigerjahren standen wir vor dem Problem, wie die Nachfrage befriedigt werden kann. Inhalte und Ideen haben damals niemanden mehr interessiert. Wir sprechen da von einer Bio-Bewegung, die die Massen befriedigen und gleichzeitig maximale Erträge bringen soll. Kein Wunder also, dass viele der Landwirte die Verordnungen bis an ihre Grenzen ausgelotet haben.

Wie sollen sich die Konsumenten in dem heutigen Bio-Dschungel zurechtfinden, wo Idealismus und Geschäftemacherei kaum noch voneinander zu trennen sind?

Sie reden hier vom leichten Geld und von der Gier. Die Bio-Märkte hatten die Chance, den Begriff des Feinkostladens neu zu definieren, indem sie Lebendigkeit und Qualität schaffen. Dabei haben sie nichts anderes gemacht, als Supermärkte zu imitieren.

Warum?

Weil sich die Konsumenten mit dem Biozertifikat zufrieden gegeben haben. Keiner hat sich mit dem Begriff Vielfalt auseinandergesetzt. Hätten sich die Bio-Märkte der anfänglichen Bewegung angeschlossen, wären sie heute regionale Genuss- und Lusttempel. Stattdessen sind sie anonym und austauschbar. Für das Geld, das wir dortlassen, hätten wir grandiose regionale Lebensmittel haben können. Das ist verschenkt worden.

Der Wettbewerb um das gesündere Image wird zusehends härter. Viele konventionelle Bauern wollen nicht mehr in die Ecke der bösen Nicht-Bio-Landwirte gestellt werden, die ihre Tiere im finsteren Stall vegetieren lassen, auf Teufel komm raus Dünge- und Spritzmittel einsetzen und mit gentechnisch verändertem Soja füttern.

Ich bin davon überzeugt, dass viele Bauern immer mehr in Richtung Qualität gehen. Die Frage lautet aber nicht, ob wir uns Bio ersparen können. Es sind zwei verschiedene Wege, und als solche sollten sie auch von den Konsumenten verstanden werden. Wir müssen mit dieser Schwarzmalerei aufhören. Gerade wenn wir von Tierwohl sprechen, habe ich konventionelle Betriebe gesehen, die vielen Bio-Höfen um ein Vielfaches vo-raus waren. So gesehen ist die Diskussion, ob Bio immer gut und der Rest schlecht ist, weder zielführend noch ehrlich.

Worum geht es dann?

Bio hat andere Inhalte und andere Qualitäten. Stellen Sie sich einmal vor, dass eine Bio-Kuh ihr ganzes Leben lang nie auf einer Wiese gestanden ist. Dabei gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, die ganz klar belegen, dass Kühe, die frisches Gras fres- sen und auf der Weide gehalten werden, eine andere Milch liefern. Bio heißt für mich ganz klar Weidehaltung. Selbst konventionelle Betriebe haben das erkannt und umgesetzt.

Sie sprechen oft von der verloren gegangenen geistigen Haltung zu unseren Nahrungsmitteln.

Nur eine Methode gegen die andere auszutauschen bringt die Bauern nur dazu, den Richtlinien entsprechend zu arbeiten, das Kernproblem werden sie ohne geistige Auseinandersetzung aber nicht begreifen.

Welches denn?

Es ist doch längst wissenschaftlich belegt, dass Viehhaltung und Fütterung sich in der Qualität des Nahrungsmittels niederschlagen. Ich habe nie verstanden, wie man glauben kann, dass, einmal verkocht, die Herkunft des Fleisches keine Bedeutung mehr hat. In jedem Lebensmittel sind auch geistige Bestandteile enthalten, die in unserem Leben eine Wirksamkeit haben.

Wie schwierig ist es, die Bauern selbst von Ihrer Vision zu überzeugen?

Viele Bauern, mit denen ich spreche, würden umsteigen, wenn der Preis und die Qualität stimmen. Damit muss sich die Landwirtschaftspolitik auseinandersetzen. Wenn ein Lebensmittel nichts mehr kosten darf, dann kann nicht über Qualität gesprochen werden.

Ihre neue Produktlinie, die Sie für Hofer ent- wickelt haben, heißt „Zurück zum Ursprung“. Wie wollen Sie den Käufern die Lust am ursprünglichen Produkt vermitteln?

Indem ich in der Kommunikation mit dem Konsumenten ein Bewusstsein schaffe, ihm erkläre, woher die Produkte kommen und was sie so besonders macht. Nur hundertprozentige Transparenz und leicht zugängliche Information werden die Men- schen dazu bewegen, ihre Kaufentscheidung zu hinterfragen. Mit jedem Euro, den wir einsetzen, um ein Produkt zu kaufen, entscheiden wir mit, wohin es mit der Landwirtschaftspolitik, Lebensmittelproduktion, Qualität oder Tierhaltung geht.

Eine Macht, von der wir nur wenig Gebrauch machen

Weil wir von dem, was wir essen, keine Ahnung mehr haben. Die meisten Lebens- mittelhersteller tun auch gut daran, den Mantel des Schweigens über ihre Produk- tionsabläufe zu legen. Den Konsumenten locken sie mit breit angelegten Marketing- und Werbekampagnen. Ich glaube, das ist der falsche Weg. Propaganda hält nicht lang. Und Scheinwelten ebenso wenig. Die Menschen zurück zum Ursprung ihrer Lebensmittel zu führen ist ein essenzieller Teil meiner Arbeit.

Warum vermarkten Sie Ihre Produkte bei Hofer?

Mir ist bewusst geworden, dass Qualitätsarbeit nur noch von einem ethisch geführten Diskonter gemacht werden kann.

Hofer entspricht nicht unbedingt der Vorstellung eines Unternehmens, das auf Ökologie und Nachhaltigkeit Wert legt.

Da täuschen Sie sich. Ich habe dort keine neue Diskussion entfacht. Als ich mein Konzept vorgestellt habe, saß ich vor Menschen, die sich längst mit dieser Problematik auseinandergesetzt haben. Mittelfristig kann es sich keiner mehr leisten, Themen wie Umwelt und Nachhaltigkeit zu ignorieren.

Setzen solche Handelsriesen die Produzenten nicht gewaltig unter Druck?

Ich habe immer versucht, eine Partnerschaft zu den Bauern aufzubauen. Lösungen und Qualitätsschritte erreicht man nur mit Partnern. Abhängige Leute haben die moralische Rechtfertigung, dich zu betrügen.

Ist das Modell des Greißlers obsolet?

Das Problem liegt bei den hohen Kosten. Diese Läden haben nur dann eine Zukunft, wenn sie andereWege gehen und zum regionalen Feinkostladen werden. Mit einem eigenen Gesicht, Authentizität und Charakter.

Herr Lampert, was kommt bei Ihnen auf gar keinen Fall auf den Tisch?

Ich esse kein Schweinefleisch. Ich habe als Bub öfters Schweine gehütet und eine unglaubliche Sympathie für die Tiere entwickelt.

Welches Lebensmittel macht Sie besonders glücklich?

Käse und gutes Brot.