Mitten im Fünften

Universum Magazin

Foto: Stefan Knittel

Foto: Stefan Knittel

Eigentlich ist das, was sie tun, illegal. Bewaffnet mit Krampen und Spaten, dazu noch allerlei Grün mit im Gepäck, treffen sie sich zum regelmäßigen Stadtgärtnern: die Gartenpiraten. Vor kurzem haben sie ihren ersten Gemeinschaftsgarten angelegt. Auf einer brachliegenden Baulücke in Margareten sollen bald Blumen um die Wette blühen, Paradeiser reifen und Kräuter wachsen.

Es ist ein sommerlicher, heißer Tag. Irgendwo auf der Schönbrunner Straße, dort, wo sich zwischen grauem Beton und lautem Autoverkehr kaum Fußgänger hinverirren, treffen sie sich heute: Mene, Hansi, Babsi und Stefan. Ihr Ziel: eine Brache in der Siebenbrunnengasse, nur wenige Gehminuten entfernt. Ihre Mission: Beete anlegen, Gemüse pflanzen und Blumensamen säen. Aus ganz Wien kommen sie, die Räder voll gepackt mit selbst gezogenen Paradeisern, Kürbissen und Sonnenblumen. Manche haben Erde mitgebracht, in großen Säcken. Dazu das notwendige Gartengerät: Spitzhacke und jede Menge Schaufeln, nur den Rechen scheint heute jemand vergessen zu haben. Um kurz nach halb drei sind alle vollzählig. „Auf geht’s“, sagt Mene und packt den Kar- ton mit dem blühenden Grün auf den Sattel ihres Rades, während Hansi die Geräte auf den Rücken hievt. Die restlichen Gemüsepflanzen und Kräuter verschwinden in großen Rucksäcken, weich gebettet auf Tüten voller Erde, in der sie später ihre Wurzeln ausbreiten sollen.

Zwischen zwei Wohnhäusern befindet sie sich, die Baulücke in der Siebenbrunnenasse, eingefasst von einem lose befestigten Maschendrahtzaun. Seit gut zwei Jahren liegt die Fläche nun brach, davor stand dort ein altes Zinshaus, das der Besitzer niederreißen ließ, um ein siebenstöckiges Wohnhaus samt Garage hinzubauen. Nur mit der Genehmigung scheint es nicht ganz geklappt zu haben, und so wurde das Fleckchen Erde sich selbst überlassen.

Die Idee, irgendwo einen Stadtgarten anzulegen, hatten Hansi, Mene und die anderen schon lange. Die meisten sind zwischen 21 und 23, Studenten und Caretaker. Hansi erklärt die Idee hinter Caretaker: „Es ist eine Lebensphilosophie. To take care bedeutet ,auf etwas Acht geben‘, ,sich um etwas kümmern‘, und das ist genau das, worum es uns geht: Acht geben auf unser Umfeld, auf unseren Planeten.“ Das jüngste Projekt der Caretaker lautet „Pflanz dir deine Stadt“ und findet derzeit in der Siebenbrunnengasse statt.

Der grüne Krieg

Angefangen hat das illegale Begrünen in den Siebzigerjahren in New York. Nun erlebt die grüne Welle ein Revival, ausgelöst vom Engländer Richard Reynolds. Reynolds fand eines Tages, die Straßen von London seien grau und hässlich. Mit grünen Handschuhen und Harke machte er sich ans Werk und ließ Blumen auf den Straßen von London sprießen. Er wusste, was er macht, ist nicht erlaubt. Er jätete und pflanzte nachts. Heute, fünf Jahre später, gibt er auf seiner Webseite anderen Gartenpiraten auf der ganzen Welt Tipps, um erfolgreich grünen Krieg zu führen: mit Sonnenblumen vor dem Londoner Parlamentsgebäude, Sukkulenten auf einem Verkehrsstreifen in Long Beach oder Chrysanthemen auf dem Prenzlauer Berg. Nur in Wien scheint diese Bewegung nicht so recht Fuß gefasst zu haben, obwohl das urbane Gärtnern auch hier schwer in Mode ist.

„Anfang März haben wir Vernetzungs- treffen zu den Themen Stadtbegrünung, Gemeinschaftsgärten, Solidarisches Gärt- nern und Guerilla Gardening auf die Beine gestellt“, erzählt Mene. Sie ist 23 und stu- diert derzeit Englisch und Biologie auf Lehr- amt. „Wir wollten so Menschen, die sich mit den Themen Pflanzen, Gärten und Stadtbegrünung beschäftigen, zusammenbringen. Es war ein Riesenerfolg. Damals ist auch die Guerilla-Gardening-Gruppe entstanden.“ Begonnen hat die Bewegung im Kleinen. Bei den Treffen im Kaleidoskop, dem Vereinslokal der Aktionsgruppe KuKuMa, wurden zunächst „Seed-Bombs“ gebastelt und in der Stadt „verteilt“, Erfahrungen ausgetauscht und Aktionen geplant. „Irgendwann wollten wir aber mehr“, erzählt Biologie- und Sportstudent Hansi. „Einen Gemeinschaftsgarten, den jeder nutzen und wo er auch mal die eine oder andere Pflanze setzen kann, wenn er Lust dazu hat.“ Ein Fleckchen Erde eben, inmitten von tristen Innenstädten und gestriegelten Parkanlagen, wo nur eine Hand voll autorisierter Menschen über die Gestaltung des Lebensraums vieler Tausender bestimmt. „Ganz abgesehen davon, dass diese Pflanzen abseits vom Ziereffekt für die Menschen und Tiere der Stadt nur wenig Nutzen darstellen“, sagt Hansi und wundert sich, warum statt der ge- wöhnlichen Rosskastanien keine Edelkastanien gepflanzt werden. Oder Brombeer- und Himbeersträucher statt Flieder.

Wir bepflanzen Margareten

Irgendwann im Mai hat Mene bei einem ihrer Streifzüge die Brache in der Siebenbrunnengasse entdeckt, wo sich inzwischen allerlei „Wildes“ angesiedelt hatte: büschelweise Weizen, Bartnelken, Glockenblumen, Ginster, Mariendisteln, Astern und Kamille. Bald entstand dort gut versteckt zwischen den meterhohen Wildkräutern das erste, wenig später auch das zweite Beet. „Nicht ganz unbemerkt“, erinnert sich Stefan. Nach gut einer Stunde sei plötzlich die Polizei da gewesen. Doch die habe Verständnis gezeigt, und beim Anblick der winzigen Pflänzchen sei den Beamten sogar ein Lächeln über die Lippen gehuscht. Gekommen sind sie seitdem nicht mehr.

Heute haben sich die Gartenpiraten Großes vorgenommen. Mindestens ein neu- es Beet soll her. Nach kurzer Entscheidungsfindung, wo es hinkommen wird, machen sich Hansi und Stefan an die Arbeit. Beete auszuheben ist nämlich Männersache, der Boden hier ist steinhart, kaum Erde, dafür jede Menge Ziegel. Nach entsprechendem Körpereinsatz sind einige Quadratmeter Erdreich gelockert, die nun mit frischem Kompost angereichert werden. Die Ziegel bilden die Einfassung der kleinen Parzellen. Nach und nach trudeln neue Stadtgärtner auf ihren Rädern ein, neugierig bleiben Pas- santen stets hinterm Zaun stehen. Manche schauen ein bisschen skeptisch, die meisten aber sind begeistert. „Dürft’s ihr das eigentlich?“, fragt eine ältere Dame und murmelt, dass es hier ohnehin zu wenig Grün gebe. Und so lang nichts kaputt gemacht werde …

Soeben ist Roland dazugestoßen. Er studiert Umwelt- und Ressourcenmanagement an der BOKU. Garteln mache ihm einfach Spaß, deshalb habe er sich im Internet auf die Suche nach Gleichgesinnten gemacht. Heute hat er Erde und Setzlinge mit im Gepäck, die er auf dem Mostviertler Bau- ernhof seiner Großeltern vorgezogen hat. Dille, Mungobohnen und Popcornmais, dazu noch jede Menge Samen. Die Mais- winzlinge haben Adis neugierig gemacht. Er ist sechs, wohnt gleich ums Eck und unterstützt die Gruppe tatkräftig seit dem ersten Spatenstich. Viel lustiger sei das, als im Park zu spielen, sagt er, während seine kleinen Finger den Mais behutsam aus dem Topf pulen. Mene und Babsi überlegen inzwischen, wo die vielen Sonnenblumen- und Kürbispflanzen hinsollen. Schnell wird klar, dass ein Beet heute nicht ausreichen wird. Am Schluss sind es insgesamt drei, die an diesem Tag in der Siebenbrunnengasse entstehen. Mutterboden für Thymian und Lavendel, Paprika und Paradeiser, Brokkoli und Bohnen. Zufrieden und glücklich begutachten die Stadtgärtner das Ergebnis von zwei Stunden harter Arbeit. „Wenn es jetzt auch noch regnet, haben wir gewonnen“, sagt Mene. Doch auf baldiges Nass von oben will sich hier keiner so recht verlassen. Und so schwärmen die einen aus, um Stützstecken für das zarte Gemüse zu suchen, während die anderen sich Plastikflaschen schnappen, die sie vom nahe gelegenen Brunnen mit Wasser befüllen. Adis hat derweil noch schnell ein paar Margeriten ge- pflanzt und „sauber“ gemacht, sprich den einen oder anderen Unrat – Bierdosen, Plastik und Kartonfetzen – in die dafür designierte Tüte gepackt. „Fertig“, sagt er stolz und fragt, wann die noch grüne Paprikafrucht denn rot sein werde. Die möchte er dann gerne probieren und schauen, ob sie besser schmeckt als die aus dem Supermarkt. „Wenn man einmal einer Pflanze, die man selbst aus Samen gezogen hat, beim Wachsen zugesehen hat, dann bekommt man einen ganz anderen Bezug zur Natur“, sagt Stefan. „Und zum Essen“, fügt Babsi hinzu. So ist ihr Gärtchen für Stefan, Hansi, Mene und die anderen aber auch ein kleines Stück praktische Propaganda. Es soll zeigen, dass urbane Landwirtschaft möglich ist und in die Stadtplanung miteinbezogen werden sollte. „Meine Vision ist ein großer Gemeinschaftsgarten zum Wohle aller Anrainer. Die Berührung mit der Erde bringt die Menschen zusammen“, sagt Hansi.

Für eine grüne Stadt

Deshalb ist demnächst auch ein großes Gartenfest geplant, für die gesamte Nachbarschaft, zum gemeinsamen Diskutieren, Pläneschmieden, Pflanzen, Gießen, Feiern und Kuchenessen. Die Idee dafür kam eigentlich von Adis’ Mama Zoe, die sich über jedes Fleckchen Grün freut und hofft, dass die Brache noch lange unbebaut bleibt. Soeben ist ein Mann am Zaun stehen geblieben. „Bei mir im Zwölften gibt’s auch so eine Baulücke. Wollt’s ihr die nicht auch ein wenig verschönern und ein paar Paradeis- und Paprikapflanzerl setzen?“ Schon ist die Adresse notiert und eine „Inspektion“ des Objekts ins Auge gefasst. Mene versteht ohnehin nicht, warum in den Städten so wenig Essbares gepflanzt wird. Platz dafür gäbe es doch genug. Wer das auch findet, kann sich jederzeit dem Stadtgartenprojekt der Caretaker und KuKuMa-Aktivisten anschließen.

Hansi, Mene, Stefan und Babsi haben inzwischen ihre Sachen gepackt. In zwei Wochen wollen sie sich wieder treffen und vielleicht das nächste Beet anlegen. In der Zwischenzeit schaut jeder mal vorbei, wenn er Zeit hat, um zu gießen und vielleicht auch schon das eine oder andere Gemüse zu ernten. Wenn es weiterhin so heiß bleibt, sind nämlich bald die ersten Paradeiser reif.