Die Konfekt-Werkstatt

Universum Magazin

Michael Diewald (Foto: www.bluehendes-konfekt.com)

Michael Diewald (Foto: www.bluehendes-konfekt.com)

Der Wiener Michael Diewald verwandelt Blüten und Kräuter in wohlschmeckende Kunstwerke. Die Regeln dazu sind einfach: Erlaubt ist, was gefällt. Und: Gegensätze ziehen sich an. Ein Blick hinter die Kulissen der wohl ungewöhnlichsten Konfekt-Werkstatt.

Wenn Zitronenpelargonien auf Thymianblüten in Himbeerpulver treffen, Quitte und Ingwer abenteuerliche Geschmacksverbindungen eingehen, dann befindet man sich mit großer Wahrscheinlichkeit in der Manufaktur von Michael Diewald. Kaum zu glauben, dass in dem unscheinbaren Haus im sechsten Wiener Bezirk kulinarische Köstlichkeiten der besonderen Art entstehen. „Blühendes Konfekt“ steht über der Tür, und schon ein Blick durch die verglaste Front lässt er ahnen, dass sich hier eine Pralinenwerkstatt verbirgt, die so ganz und gar nicht der herkömmlichen Konfiserie entspricht.

„Kommen Sie herein“, ruft Michael Diewald und schiebt vorsichtig ein paar Kartons beiseite. Eine Lieferung, die noch heute verpackt und an den Mann gebracht werden muss. Die eigentliche Werkstatt ist direkt an den Verkaufsraum angeschlossen und nur durch eine Glasfront getrennt. „Damit meine Kunden auch einen Blick auf den Entstehungsprozess meiner Pralinen werfen können“, sagt Diewald, während er eine erlesene Auswahl an Konfekten und verzuckerten Blüten zusammenstellt und auf einen großen Teller legt – „zum Kosten“. Der große braune Holztisch ist die eigentliche Arbeitsstätte seiner vier Damen. Drei Mal die Woche werden dort die köstlichen Schmuckstücke produziert.

Die meisten Blüten für seine ungewöhnlichen Pralinenkompositionen sammelt Michael Diewald nach wie vor selbst. Von Mai bis September wandert der 44-Jährige durch die Wiener Umgebung, wo er auf blühenden Wiesen und schattigen Waldlichtungen die Zutaten für seine Konfekte findet. Im Vorbeigehen werden dann Holunder-Dolden eingestreift oder ein Bund wilder Minze verschwindet in der Box, ohne die er keinen Spaziergang unternimmt. Manchmal zieht es ihn auch noch ins Mostviertel, wo der Himmelschlüssel besonders üppig wächst.

Seinen Sammeleifer hatte Michael Diewald schon als Kind. Gemeinsam mit den Großeltern ging er auf Himbeer- und Pilzsuche, sah ihnen beim Gärtnern über die Schulter und half beim Einkochen. Das schärfte die Sinne und machte ihn offen für Neues. „Ich habe schon als Bub gerne Unbekanntes ausprobiert und mich für die unterschiedlichen Geschmäcker interessiert“, erinnert er sich. Nach einem Wirtschaftsstudium und einem kurzen Ausflug in die Welt der Elektronikdatenverarbeitung landete Diewald schließlich als Verkäufer in einem Bioladen. Vierzehn Jahre blieb er dort. Lange genug, um sich intensiv mit Lebensmitteln und Geschmäckern auseinanderzusetzen. Seine ersten Konfektversuche waren Weihnachtsgeschenke für die Familie: In leere Schächtelchen füllte er selbst gemachtes Schoko-Konfekt. Später begann er, zunächst für den Bioladen, Ostereier aus Marzipan herzustellen und stellte fest, dass sich die bunten Blütenblätter in den Blüten-Teemischungen ausgezeichnet als filigranes Dekor für seine selbst hergestellten Pralinen eigneten. Jahrelang tüftelte er an neuen Kreationen, kombinierte ungewöhnliche Geschmacksrichtungen, lernte, wie das Verzuckern von Blüten funktioniert und wie man mit Pelargonien- und Rosenzucker Konfekt aromatisieren kann.

Im Verkaufsraum von Michael Diewalds Manufaktur warten die letzten Blüten darauf, in luftdichten Kisten verstaut zu wer- den. Zwei Wochen sind sie auf dem Blech gelegen, zum Trocknen. „Nach dem Sammeln werden die Blüten unverzüglich verzuckert, so bleibt ihr Geschmack erhalten und wir können sie über den Winter, wenn die beste Zeit für Schokolade ist, weiter- verarbeiten.“ Je nach Blüte halten sie sich bis zu einem Jahr, danach verlieren sie an Farbe und Aroma. „Kornblumen sind besonders geduldig“, erklärt Michael Diewald, „die Blüte der Zierquitte ist da schon vergänglicher und muss entsprechend schneller auf den Konfekt-Kugeln landen.“

Auf den offenen Regalen in der kleinen Manufaktur finden sich neben Gläsern mit Chili-, Rosen- und Pelargonienzucker Marmeladengläser, die er von einer Bäuerin aus dem Weinviertel bezieht. Darin: köstliche Gelees aus hocharomatischen Schlehen, süßen Hagebutten und säuerlich-herben Dirndln, die später wundersame Geschmacksverbindungen mit Rose und Pfefferminze eingehen werden. Übereinander gestapelt sind dutzende Boxen, gefüllt mit hunderten in Zucker gegossenen Blüten, die später das Dekor für die blühenden Konfekte bilden: blitzblaue Kornblumen, zarte Hollerblütensterne, gelbe Ringelblumen, kelchförmige Himmelschlüssel, zerbrechliche Vergissmeinnicht oder winzige, blassgrüne Johannisbeerblüten, die Michael Diewald zu filigranen Blütenskulpturen erstarren ließ.

Bei der Produktion der erlesenen Konfekte ist äußerste Fingerfertigkeit gefragt. Gemeinsam mit frischen Kräutern werden die Blüten in einem Fleischwolf zu einem Brei faschiert, der anschließend zum Aus- härten auf ein Backblech aufgestrichen wird. Die duftende Masse wird von Hand gerollt, in die Gewürzmischungen getaucht und kunstvoll mit Blütendekor versehen.
Fantasie und Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Bei Michael Diewald ist eigentlich alles erlaubt. Stundenlang tüftelt er an neuen Geschmackskompositionen. Von Zitronen-Schokolade mit buntem Chilizucker über Schlehen-Limetten-Marzipan mit Malvenzucker, Basilikumblüten in Verbenenpulver, in Kardamom gelegte Rosenmelisse mit Himbeeren und Pimpernussblüten bis zu Orangenminzblättern in dunkler Schokolade. Welche Blüten und Kräuter ausgewählt werden, hängt von zwei Kriterien ab: Sie müssen essbar sein und ein intensives Aroma besitzen.

Im kommenden Frühjahr will Michael Diewald in seinem Geschäft auch Verkostungen anbieten. So soll neben dem vorhandenen Sortiment auch Tagesfrisches vor- gestellt werden. „Waldbeeren in weißer Schokolade zum Beispiel. Eine kongeniale Verbindung“, stellt der Wiener fest. Ein Blick in seine Augen verrät, dass es nicht die einzige Idee ist, die ihm gerade in den Sinn gekommen ist.

Neben der Kreation seiner süßen Kunstwerke setzt Michael Diewald vor allem auf eines: Nachhaltigkeit. Was er nicht selbst sammeln kann – Ananas, Schokolade, Nüsse oder Marzipan –, bestellt er bei Biobauern oder aus dem Biogroßhandel. Außerdem ist er wohl der einzige Betrieb, der ohne Auto auskommt. Die Bonbonnieren werden ausschließlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln transportiert. Wer sich die Naschereien mit dem Auto abholen kommt, wird genauestens instruiert, denn Erschütterungen bekommen dem äußerst zerbrechlichen „Blühenden Konfekt“ nicht.

Soeben sind ein paar Flaschen Gelber Muskateller vom Bioweingut Zillinger eingetroffen. „Das Feinste vom Feinsten“, freut sich Michael Diewald und inspiziert den edlen Tropfen. „Der ist für unsere Weinpralinen“, sagt er und entschuldigt sich: „Auf mich wartet nun Arbeit.“