Werkstatt ohne Dach

Universum Magazin

Erich Stekovics (Foto: www.stekovics.at)

In der burgenländischen Gemeinde Frauenkirchen lebt der Gemüsebauer Erich Stekovics einen lang gehegten Traum. Auf seinen Feldern hat er ein Refugium für alte und vergessene Obst- und Gemüsesorten geschaffen. Jahr für Jahr gedeihen die Früchte unter freiem Himmel, tanken Sonne und Geschmack, ehe sie sich im Glas, als unverschämt köstliche Marmeladen, Chutneys oder edle Einlegearbeiten wiederfinden.

Heller Aufruhr im Betrieb von Erich Stekovics. Es ist Mitte Juni und der erste richtig heiße Tag nach den vielen Regengüssen. Herr Stekovics entschuldigt sich, er müsse kurz nach den Erdbeeren sehen, die soeben hereingebracht wurden. Kritisch beäugt er die vol- len Kisten, die den wunderbar warmen Duft der frisch gepflückten Früchte verströmen. Er kniet nieder, nimmt eine in die Hand, führt sie zuerst zur Nase und dann zum Mund. „Ja, die ist gut“, murmelt er und kostet eine zweite. Die ist von einer anderen Sorte, hört auf den Namen Polka und schmeckt genauso köstlich süß wie die erste, Polnische genannt. „Heute ist der letzte Tag zum Ernten“, ruft Erich Stekovics seiner Schwester zu und versichert, spätestens um zwei selbst am Feld zu sein.

Das Wetter hat es nicht besonders gut gemeint mit den Erdbeeren. Regen und Hagel haben vor allem der Mieze Schindler hart zugesetzt. Herr Stekovics muss sich unverzüglich selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen. Kurzerhand setzt er sich ins Auto, um nachzuschauen, wie es der ehrwürdigen „Frau Mieze“ geht. Mieze Schindler ist nämlich eine ganz besondere Erdbeere, entstanden aus einer Kreuzung von Garten- und Walderdbeere. Besonders süß und aromatisch, aber eben auch besonders heikel. Druck behagt ihr nicht, ebenso wenig wie anhaltende Feuchtigkeit. Ist sie reif, muss sie sofort verarbeitet werden. Das Feld mit der süßen Kostbarkeit liegt gut versteckt, hinter dem Obstgarten, wo eine Gänseschar im Schatten alter Obstbäume – darunter Weingarten-Pfirsiche, Wildmarillen, weiße und schwarze Maulbeeren – weidet. Vorsichtig steigt Herr Stekovics über die Pflanzen und sein Gesichtsausdruck verrät, dass die Lage kritisch ist. Viele der Früchte sehen mitgenommen aus. „Jetzt müssen alle verfügbaren Arbeitskräfte zusammengetrommelt werden“, sagt Erich Stekovics, der seinen Betrieb gerne mit dem einer Notfallambulanz vergleicht. „Die Früchte warten eben nicht auf Termine, sondern kommen herein, wann’s ihnen passt.“ Zwischendurch läutet immer wieder das Telefon. Wieder muss er einem enttäuschten Kunden erklären, dass es heuer leider keine Mieze Schindler gibt. Das bisschen, was vom Regen verschont wurde, wandert nach der Ernte sogleich in den Kochtopf, um als köstliche Madame-Mieze-Schindler-Marmelade den Betrieb zu verlassen.

Paradies für Paradeiser

Seit 2001 bewirtschaftet Erich Stekovics seine Felder rund um Frauenkirchen im burgenländischen Seewinkel. Davor hatte der studierte Theologe seine Arbeit mehrere Jahre in den Dienst der Diözese gestellt, bis ihm eines Tages bewusst wurde, dass er zu den Dingen zurückkehren musste, die er Zeit seines Lebens weggedrängt hatte: die tiefe Verbundenheit zu der schwarzen Erde des Burgenlands und die Leidenschaft für die Geschmäcker. Geprägt wurde er von seinem Vater, einem Nebenerwerbslandwirt, der ihn schon als kleinen Bub mit aufs Feld nahm. Während die anderen Kinder in seinem Alter mit Murmeln spielten, saß er im Schatten und schlichtete die frisch geernteten Paradeiser oder half seiner Mutter in der Küche beim Marinieren und Einlegen. „Der Bezug zum Kochen und zu den Lebensmitteln war immer schon da“, erinnert er sich, „ebenso wie die intensiven Gerüche, die sich bei mir eingeprägt haben.“

Ende der Neunziger kehrte er in seinen Heimatort zurück, mit einer Vision: der Suche nach den verloren gegangenen Geschmäckern. Angefangen hat der Betrieb, dessen edle Einlegearbeiten für die Spitzengastronomie verarbeitet werden und in ausgewählten Delikatessläden im Regal stehen, mit gerade mal einem Viertelhektar Eigenbesitz, zu dem zunächst weitere zwei Hektar dazugepachtet wurden. Die Idee war von Anfang an klar: Das Gemüse sollte unter freiem Himmel gedeihen, gestreichelt vom warmen Wind, verwöhnt von der heißen Sommersonne. In enger Zusammenarbeit mit dem Verein Arche Noah legte Erich Stekovics damals den Grundstein für ein Refugium vergessener Obst- und Gemüsesorten. Begonnen hat er mit Paprika und Chili, berühmt wurde er mit seinen Paradeisern, die er seit 2003 anbaut. 3.200 sind es an der Zahl, alle unterschiedlich in Farbe, Form und Geschmack. Erstaunte Blicke ist er gewohnt. „Das sind gar nicht so viele, sag ich dann immer, wenn man bedenkt, dass es weltweit 300.000 Sorten gibt.“

An dreihundert Tagen im Jahr scheint hier die Sonne, ideale Bedingungen für die Paradeiser, die gar nicht genug Wärme be- kommen können und in besonders verregneten Sommern ihren Meister um seine Ernte zittern lassen. So wie damals, im Jahr 2005, als zu viel Feuchtigkeit die Braunfäule – eine fatale Pilzinfektion – über die Pflanzen kommen ließ. Erich Stekovics sieht es mit einer gewissen Gelassenheit. „Wir sind eben eine Werkstatt ohne Dach und müssen hinnehmen, was uns der Himmel so bringt. Die letzten fünf Jahre waren immer von Extremen geprägt. Extreme Kälte und Regen im Sommer, ungewöhnliche Wärme und Trockenheit im Winter. Die Pflanzen müssen eben lernen, sich anzupassen.“

Zimperlich ist Erich Stekovics mit seinen Paradeisern nicht. „Bei mit haben es alle gleich schlecht“, lacht er und erzählt, dass die Paradeiser sehr früh lernen müssen, den Kopf hängen zu lassen, noch bevor sie in die Erde kommen. Gegossen werden sie aus- schließlich in der Früh. Untertags heißt es dann kämpfen, denn sind sie einmal im Feld, wird ihnen nichts mehr geschenkt. „Da habe ich dann keine Zeit mehr, nach allen einzeln zu schauen“, sagt ihr „Ziehvater“ streng und doch liebevoll, so dass man es ihm nicht recht glauben möchte. Sind die Eisheili- gen erst mal vorbei, werden die Stecklinge ausgepflanzt. Vier Tage lang sind Stekovics und seine Mitarbeiter dann von früh bis spät damit beschäftigt, die zarten Pflänzchen an den für sie vorgesehenen Ort zu setzen. Noch ein einziges Mal angegossen, werden sie dem Lauf der Natur überlassen. Wasser kriegen sie dann keines mehr. „Jeder, der denkt, er tue mit dem Gießen der Pflanze etwas Gutes, irrt sich“, betont Erich Stekovics immer wieder und fügt hinzu, dass mit jeder Gießkanne die wertvollen Aromen weggeschwemmt werden.

Ein Bett aus Stroh

Ebenso unkonventionell wie seine Wassergaben ist auch der Anbau der Pflanzen. Angebunden und hochgezogen werden Stekovics’ Paradeiser nicht. Ausgegeizt schon gar nicht. Ganz im Gegenteil: Wenn die Pflanzen unter dem Gewicht der Früchte, die sie zu tragen haben, so schwer werden, dass sie sich gerne hinlegen möchten, dann bettet sie Erich Stekovics auf Weizenstroh. „Das ist besonders weich“, lächelt er, „und der wunderbare Duft findet sich dann im Geschmack der Früchte wieder.“

Es ist irgendwie ansteckend, wenn man Erich Stekovics zuhört, wie hingebungsvoll er von seinen Früchten spricht, voller Freude und Begeisterung. So erzählt er vom Geruch, der jeder Pflanze eigen ist und den Geschmack beim Berühren der Blätter erahnen lässt. Oder beim Kosten der Samen, dieses kostbaren Guts, das nach der Ernte getrocknet, sortiert und in einzeln beschrifteten Tüten verpackt an einem kühlen, trockenen Ort lagert, um auf seinen Einsatz im nächsten Frühjahr zu warten. Doch das hat noch Zeit. Zeit, die Erich Stekovics zwischen Feld, Betrieb und Familie auch zum Nachdenken nützt. War sein Ziel vor fünf Jahren noch die Erhaltung möglichst vieler Paradeissorten, so sind seine Prioritäten heute anders gesetzt. „Ich möchte lieber wissen, dass ich hundert gute Sorten geschaffen habe, die in den letzten dreißig Jahren durch meine Hände gegangen sind.“ Pragmatische Worte eines Idealisten, die fast ein wenig wehmütig klingen. Denn selbst wenn sich so manch ambitionierte Organisation um das Bewahren alter Sorten bemüht, mit seinen 3.200 Paradeisern ist Stekovics weltweit einzig. Und nach all den Jahren kann er immer noch nicht verstehen, warum wir uns tagtäglich dem Diktat der modernen Landwirtschaft unterwerfen und um die unglaubliche Vielfalt bringen lassen, indem wir uns etwa mit den gleichförmigen Paradeisern zufrieden geben, die 365 Tage im Jahr in den Supermarktregalen stehen.

Bei Erich Stekovics wird nur in zwei Mona- ten im Jahr geerntet, im Juli und im August, wenn die Paradeiser reif sind und ein inten- siver Geruch über den Feldern liegt. „Erst wenn die Frucht bereit ist, sich zu verabschieden, hat sie den Höhepunkt ihres Aromas erreicht“, sagt Erich Stekovics. Er nennt dies den Abschiedsmoment, wenn sie sich selbst vom Stock loslöst, dem Aufplatzen nahe. Dann sei es Zeit, dass er sie ins Glas bringe.