Wenn sie das Podium betritt, dann steht plötzlich die Zeit still. Khatia Buniatishvili ist ein Phänomen, eine Naturgewalt. Temperament und Leidenschaft paaren sich bei der 25-jährigen Pianistin aus Georgien mit hellwacher Intelligenz und reifer Gestaltungskraft. Wenn Khatia Buniatishvili spielt, dann mit Körper, Geist und Seele. Ihr Leben ist die Musik. Musik als intimes Zwiegespräch und rauschhafter Zustand, als Gefühl der Extase und der grenzenlosen Freiheit.
Das Klavier, sagt Khatia Buniatishvili, sei immer schon „ihr“ Instrument gewesen. „Bei uns zu Hause in Tiflis ist es im Kinderzimmer gestanden, dass ich mir mit meiner Schwester Gvantsa geteilt habe. Im Grunde genommen, habe sie, Khatia, aber alles ihrer Mutter zu verdanken. „Meine Mutter bemerkte unsere Begabung und gab ihren Beruf auf, um uns ihre ganze Zeit zu widmen. Sie komponierte kleine Stücke und ich spielte sie gemeinsam mit meiner Schwester am Klavier“. Vom Drill vieler hochbegabter Kinder keine Spur. „Nur wenn ich heimlich Bücher am Klavier las während ich Fingerübungen spielte, ermahnte sie mich, dass man so keine Pianistin wird“. Khatia Buniatishvili lacht. „Es war eine glückliche Kindheit“.
Wunderkind
Als kleines Mädchen sang Khatia Buniatishvili georgische Volkslieder, im Alter von sechs Jahren debütierte sie als Solistin mit Orchester. Und als Zehnjährige absolvierte sie ihre erste Europatournee. Mit fünfzehn Jahren begann sie ihr Studium am staatlichen Konservatorium in Tiflis bei Tengiz Amirejibi, einem großen Chopin-Interpreten aus der Alfred Cortot-Schule, den sie bis heute als ihren wichtigsten Lehrer bezeichnet. Dann, plötzlich, ging alles Schlag auf Schlag. 2003 gewann sie den Ersten Preis des Elizabeth Leonskaja Scholarship und den Sonderpreis des Horowitz-Wettbewerbs in Kiew. Damals lernte sie auch ihren späteren Lehrer, den Pianisten Oleg Maisenberg kennen, der sie zum Wechsel an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst nach Wien bewegte. Maisenberg war es auch, der sie immer wieder dazu ermutigte ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen – als Künstlerin und Interpretin.
Vor zwei Jahren unterschrieb Khatia Buniatishvili einen Exklusivvertrag bei Sony. Ihre erste Solo-CD (2011), für die sie im Oktober den ECHO Klassik als Nachwuchskünstlerin des Jahres verliehen bekam, war ein tollkühner Ritt durch das Liszt´sche Universum. Kürzlich ist die zweite CD der Pianistin erschienen, auf der sie sich der Musik von Frédéric Chopin widmet. „Bei Liszt“, sagt Khatia Buniatishvili, „habe ich diesen körperlichen Spaß beim Spielen. Ich kann mich hemmungslos gehen lassen. Chopins Musik hingegen ist sehr intim und nach innen gekehrt. Mit ihr wollte ich meine melancholische, verletzliche Seite zeigen“. Anders als die Konzerte, sagt Khatia Buniatishvili, seien ihre CDs wie ein Spiegel ihrer Persönlichkeit. „Hier kann ich meinen Geisteszustand am besten ausdrücken. Sie sind Momentaufnahmen aus meinem Leben“.
Chopins Stücke sind intime Mitteilungen, liest man im Booklet, manchmal beschwingt, manchmal traurig, manchmal optimistisch vorwärts blickend, manchmal nostalgisch ins Jenseits schweifend. „In seiner Musik findet sich eine Fülle an Emotionen. Dazu zählen die Melancholie und die Traurigkeit, die mir am nahesten sind. Auf der anderen Seite gibt es Werke, die von unglaublicher Schönheit und Freude inspiriert sind.“
Khatia Buniatishvili versteht es auf ihrem Instrument Musik Geschichten zu erzählen. Aber da ist noch mehr. In einem kurzen Essay hat sie ihre ganz persönlichen Gedanken über Chopin zu Papier gebracht. Ein Kurzfilm, den sie selbst geschrieben hat, soll versinnbildlichen, wie sie seine Musik empfindet. Dem Leitmotiv der Melancholie folgend, sieht man sie am Bahnhof warten und dabei gedanklich durch die Orte ihrer Erinnerung schweifen. Zu den in schwarz-weiß gehaltenen Bildern, die an die 1920er Jahre erinnern, erklingt die Musik Frédéric Chopins. Elegant inszeniert, nachdenklich und beispiellos poetisch.
Tanz der Tasten
Überhaupt fühlt sich Khatia Buniatishvili der Welt von Gestern näher, als dem heutzutage gern gepflegten Geschwindigkeitsrausch. Rachmaninoff, Richter, Gould und Cortot hört sie am liebsten. Unter den lebenden Pianisten sind ihr außer Martha Argerich und Radu Lupu nur wenige Interpreten nahe. Kein Wunder, dass sich in ihrem Spiel Noblesse ebenso wiederfindet wie Sinnlichkeit und stupende Virtuosität.
Wie in Trance sitzt Khatia Buniatishvili am Flügel, verloren in der Musik, während ihre Finger über die Tasten tanzen. „Heute wird von den Künstlern absolute Perfektion erwartet. Ich habe keine Angst davor Fehler zu machen. Die Freiheit der Interpretation brauche ich, um dem Moment der Inspiration Raum zu geben“. So etwas lasse sich nicht bis ins letzte Detail planen. „Die glücklichsten Momente erlebe ich, wenn ich es schaffe, mich auf der Bühne fallen zu lassen und alles um mich herum zu vergessen.“