Mit dem Lied durch Wald und Flur

Falter

Angelika Kirchschlager (Foto: Roland Schlager)

Für Brot und Wein bringt Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager das Lied unter die Leut’ . Angelika Kirchschlager tourte mit einem Liederprogramm durch die Provinz. Ein Buch erzählt von dieser speziellen Reise.

Nein, einen Gefängnisausbruch erlebt man nicht alle Tage. Angelika Kirchschlager und ihr Pianist Robert Lehrbaumer sitzen gerade in einem Wirtshausgarten im oberösterreichischen Garsten, als plötzlich ein Mann über die Wiese rennt, dicht gefolgt von schwerbewaffneten Polizisten mit ihren Hunden. Kirchschlager erzählt die skurrile Begebenheit und muss dabei lachen. „In der Justizanstalt Garsten sitzen die ganz harten Jungs.“ Ein flüchtiger Häftling zu Schubert und Mahler, das hat es in sich. Nur wenige Stunden später singt Kirchschlager im winzigen Schlüßlberg vor einem beseelten Publikum. Es ist die letzte Station der Liederreise, bald geht es zurück nach Wien.

Drei Wochen lang sind Angelika Kirchschlager und Robert Lehrbaumer im Juni quer durchs Land gezogen, „um das Lied unter die Leut’ zu bringen“. Ursula Magnes ist mitgereist und hat die vielen eindringlichen Momente, die skurrilsten Anekdoten und die unvergesslichen Erlebnisse in einem schönen Liederreisetagebuch zu Papier gebracht. Insgesamt 2500 Kilometer haben die beiden Musiker gemeinsam mit der Musikchefin von Radio Stephansdom zurückgelegt; abseits von Autobahnen und Schnellstraßen, durch nebelige Täler und Hänsel-und-Gretel-Wälder, vorbei an saftigen Wiesen und über schneebedeckte Pässe; weit abseits der ausgetretenen Konzertpfade, in kleine Städte, wo es keine Festivals und keine Opernhäuser gibt. Hin zu Menschen, die noch nie bei einem Liederabend waren. Mit im Gepäck: allerlei Liedgut von Schubert, Brahms und Mahler und jede Menge Wanderlust.

Es bedarf keiner großen Bühne und keiner musikalischen Vorbildung, um berührt zu werden. „Das Lied geht mitten ins Herz“, sagt Kirchschlager, ihre Natürlichkeit und ihr Charme tun ein Übriges dazu. Die Pfarrkirchen und Gemeindesäle platzen aus allen Nähten. Schubert ist grenzenlos. Das „Gretchen am Spinnrade“ ist plötzlich ganz nah. Hier kann man hin- ter die Fassade blicken, Nähe spüren und Intimität. Die Liederreise ist verbunden mit einer stetig wachsenden Zahl an Begegnungen. In Toblach, wo Gustav Mahler auf Sommerfrische war, singt Kirschlager auf 1256 Meter Seehöhe drei seiner Lieder. Beim Metzgerwirt in Radenthein trifft man sich vor und nach dem Konzert zu einem spontanen Plausch. Auf dem Kärntner Wurzerhof trägt der 60-jährige Hans ein selbst komponiertes Lied nach einem Text von Eichendorff vor. „Mitten im Kuhstall ist er gestanden und hat einfach losgesungen. Direkter geht es eigentlich nicht. Genau so muss man ein Lied singen“, zeigt sich Kirchschlager begeistert und ergänzt emphatisch: „Nichts spiegelt die menschliche Seele besser wider als das Lied. Hier geht es um die Wahr- heit in der Musik.“

Je kleiner der Saal, umso besser. Nicht immer springt der Funke gleich über. In Schlanders in Südtirol sind die Menschen zunächst skeptisch. Wer ist eigentlich Angelika Kirchschlager? Spätestens bei Schuberts „Ave Maria“ ist aber auch hier das Eis gebrochen. Immer wieder erinnert sich Kirchschlager an ihre Anfänge, als „mich niemand kannte und ich um mein Leben singen musste“. Sie ist dankbar für diese Rückbesinnung. Jetzt, wo sie ein Star ist, singt sie ohne Gage und wird dafür reich beschenkt. Im Auto türmen sich allerlei Köstlichkeiten aus der Region – Wein, Käse, Speck und selbst- gebackenes Brot. Die Reise, die Angelika Kirchschlager weit weggeführt hat vom gesättigten Publikum der Großstadt, hat bei der Sängerin einen tiefen Eindruck hinterlassen: „Ich habe viel ausprobiert und mich noch stärker zum Volkslied hin orientiert. Schließlich haben auch die Lieder eines Brahms oder eines Schubert hier ihren Ursprung.“

Wie sechs Monate am Ende der Welt hätten sich die drei Wochen angefühlt, so erzählt Kirchschlager: „Es war eine Entschlackung für die Seele, intensiv und befreiend zugleich. Die Reise hat mir wieder ein Stück Urvertrauen gegeben und die Zuversicht, geerdet zu sein.“Das Wanderfieber hat Angelika Kirchschlager und Robert Lehrbaumer jedenfalls fest im Griff. Eine Fortsetzung der Liederreise ist bereits in Planung. Im kommenden Jahr wollen sie sich wieder auf den Weg machen und diesmal „von Orgel zu Orgel“ durch das Land reisen.