“Ich habe die Beatles vergöttert”

Falter 24/17

Foto:  Gudrun Kramer

Foto: Gudrun Kramer

Brad Lubman heißt der diesjährige Composer in Residence beim Musikfestival Grafenegg, das am 22. Juni eröffnet wird. Der amerikanische Komponist und Dirigent präsentiert hier nicht nur seine Tonkünste, sondern erarbeitet im Rahmen des Composer-Conductor-Workshops “Ink Still Wet” auch die noch tintenfrischen Werke fünf junger Komponisten.

Falter: Herr Lubman, was ist das Besondere an “Ink Still Wet”?

Brad Lubman: Dass hier junge Künstler die Gelegenheit bekommen, ihre Werke mit einem sinfonischen Orchester einzustudieren und im Rahmen des Musikfestivals zur Uraufführung zu bringen. Wie es schon der Name sagt, geht es hier nicht um das fertige Produkt. Wir feilen gemeinsam an den Stücken, analysieren ihr Innenleben und überlegen, welche Anforderungen sie an einen Klangkörper stellen. Es geht auch darum, zu lernen, die eigenen Werke zu dirigieren, weil diese Erfahrung für einen Komponisten essenziell ist.

Warum das?

Lubman: Weil die Noten auf dem Papier erst dann existieren, wenn sie von Menschen gespielt werden. Klang zu produzieren ist ein sehr physischer, sinnlicher Prozess.

Was macht eine gute Komposition aus?

Lubman: Ich denke hier nicht in Kategorien wie “gut” oder “schlecht”. Natürlich ist Komponieren ein Handwerk, das man verstehen muss. Welche technischen Regeln gilt es zu befolgen? Wie wird phrasiert, wie müssen die Klänge atmen, wie setze ich Struktur und Erzählfluss ein, damit bestimmte Orchestrationen zustande kommen? Ein bisschen so wie beim Kochen: Die unterschiedlichen Ingredienzien sollten gut miteinander harmonieren.

Sind der Komponist und der Dirigent Brad Lubman immer gleichberechtigt?

Lubman: Im Herzen ja. Allerdings hat es sich so ergeben, dass ich viel mehr dirigiere als komponiere. Das ist auch gut so, weil es mir hilft, das eigene Komponieren besser zu verstehen. Umgekehrt ist die Einsicht des Komponisten in die anderen Partituren der Musikgeschichte ein ganz spannender Ausgangspunkt, wenn man nämlich auch begreift, dass es beim Interpretieren einer Beethoven-Sinfonie nicht darum geht, was ich mir vorstelle, sondern zu versuchen, so nah wie nur möglich an die Erfordernisse der Partituren heranzukommen. Da hat man vielleicht auch mehr Demut, als die Dirigenten, die selber nicht komponieren. Weil man großen Respekt vor dem Geschriebenen hat, vor dem Text auf dem Notenpapier.

Wann haben Sie ihr erstes Werk geschrieben?

Lubman: Mit 15. Das war aber eher eine Skizze. Mit 23 habe ich mein erstes vollständiges Stück komponiert, ein Trio für Klavier, Marimba und Vibrafon. Die Uraufführung fand im Rahmen meiner Diplomprüfung statt. Ich dachte wohl, das ist eine gute Gelegenheit für meine Feuertaufe.

Wie hat sich das angefühlt, seine eigenen Klänge zu hören?

Lubman: Nachdem ich selbst das Vibrafon gespielt habe, hatte ich gar keine Möglichkeit, mich damit auseinanderzusetzen. Erst bei meiner dritten Uraufführung, einem Stück für Violine solo, bin ich im Publikum gesessen. Es war ein ganz kleiner Raum, und ich habe mich schrecklich beobachtet gefühlt.

Mögen Sie ihre Musik?

Lubman: Zwischen 1986 und 2014 habe ich knapp 40 Werke komponiert. Davon mag ich bestimmt nicht alles, und das meiste will ich erst gar nicht aufführen. Dazu muss ich sagen, dass ich lange Zeit viel zu beschäftigt war mit dem Dirigieren. Ich habe zwischendurch zwar komponiert, vieles ist aber einfach liegengeblieben. Manches wollte ich später wieder aufgreifen und musste feststellen, dass ich mir gar nicht mehr sicher war, ob ich es überhaupt gut finde.

Und was ist mit den ganzen Partituren passiert?

Lubman: Sie liegen bei mir zu Hause in einer Kiste.

Gibt es Werke, auf die Sie besonders stolz sind?

Lubman: Stolz klingt in dem Zusammenhang irgendwie falsch. Ich bin auf keines meiner Werke stolz.

Sondern?

Lubman: Eher zufrieden. Vor drei Jahren zum Beispiel habe ich ein Auftragswerk für das Los Angeles Philharmonic Orchestra komponiert. Nach der Uraufführung war ich mir zum ersten Mal sicher: Das ist mein Werk, das bin ich, das ist meine Musik, so wie ich sie haben will. Wahrscheinlich dirigiere ich deshalb am liebsten meine eigenen Stücke, weil ich abgelenkt bin und mich nicht ständig mit Selbstzweifeln herumquälen muss.

Wie wichtig ist das Publikum? Schreiben Sie für Ihr Publikum?

Lubman: Natürlich ist es wichtig. Sonst bräuchte ich ja keine Musik machen. Aber ich schreibe nicht für das Publikum. Das wäre total vermessen.

Aber Sie wollen doch bestimmt, dass Ihre Musik gefällt.

Lubman: Ich freue mich, wenn es so ist. Aber Begriffe wie “schön” oder “hässlich”, sollten kein Maßstab sein. Strawinskis “Sacre du printemps” hat man nach der Uraufführung in der Luft zerrissen. Heute ist es eines der meistgespielten Werke.

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Lubman: Über die Beatles. Ich habe sie als Kind vergöttert, besonders Ringo Starr. Also habe ich mir ein Schlagzeug gebastelt mit einem Mülleimer, Büchern und improvisierten Stöcken. Mit sieben habe ich meinen ersten Unterricht bekommen und mit acht mein erstes eigenes Drumset.

Was hat Sie zur E-Musik gebracht?

Lubman: Als ich 14 war, hat mir ein Kumpel Mahlers Erste vorgespielt. Der dritte Satz beginnt mit einem Trauermarsch in unheimlich-düsterer Stimmung mit einem Kontrabass-Solo, das nur von Pauken begleitet wird. Ich war hin und weg, wollte Schlagzeuger im Orchester und vor allem Dirigent werden. Außerdem habe ich begonnen, wie besessen Schallplatten zu sammeln. Beethoven, Brahms, Mahler, Schostakowitsch, Bartók, Debussy, Ravel – alles. Dazu habe ich dann vor dem Spiegel dirigiert.

Haben Sie Vorbilder?

Lubman: Zubin Mehta und Seiji Osawa. Mehta, weil er in der Zeit gerade Chef der New Yorker Philharmoniker geworden war und ich ihn oft im Konzert erlebt habe. Osawa hatte in den 70er-Jahren seine eigene TV-Serie, “Evening at Symphony”. Ich habe jede Folge geschaut und ihn beim Dirigieren imitiert.

Sie gelten als Spezialist für Neue Musik. Warum tun wir uns damit immer noch so schwer?

Lubman: Oft suchen wir als Zuhörer in der Musik nach etwas, das wir schon kennen. Es gibt Dinge, die sich sehr deutlich im Gedächtnis festsetzen. Das sind Klänge und Gerüche oder Düfte. Diese Dinge beeinflussen unterbewusst unsere Empfindungen. Musik tut das auf eine noch viel direktere Art als die Literatur oder die bildende Kunst. Beim Bild kann man hinschauen oder wegschauen und das Tempo und die Intensität bestimmen mit der man sich einlässt. Bei der Musik springt man einfach in dieses Boot und ist dann auf dem Wasser, ohne das Ruder selber in der Hand zu haben. Das macht die Menschen manchmal auch ein bisschen befangen, weil sie so machtlos sind. Wenn man auf diesem offenen Wasser treibt, kann es ja beides sein: das große Glück, in neues Territorium vorzudringen, aber eben ohne es selbst zu steuern. Das macht die Musik so einzigartig und so unmittelbar.

Brad Lubman: Komponist, Dirigent und Lehrer
Der amerikanische Dirigent und Komponist Brad Lubman ist für seine Vielseitigkeit, seine eindrucksvolle Technik und seine einfühlsamen Interpretationen bekannt. Er arbeitet mit den großen Orchestern in Europa und den USA zusammen, darunter die wichtigsten Ensembles für Neue Musik. Lubman ist Professor für Dirigieren an der Eastman School of Music in Rochester (New York), außerdem unterrichtet er als Dozent beim Bang on a Can Summer Institute of Music in Massachusetts. Seine eigenen Kompositionen wurden bereits mehrfach eingespielt, die CD “insomniac” stellt ein Porträt seiner bisherigen Arbeiten dar.