Musik im Hier und Jetzt

Seit 2008 steht der Vorarlberger Manfred Honeck an der Spitze des Pittsburgh Symphony Orchestra.

Seit 2008 steht der Vorarlberger Manfred Honeck an der Spitze des Pittsburgh Symphony Orchestra.

Die Bühne

Der österreichische Stardirigent Manfred Honeck führt sein Pittsburgh Symphony Orchestra zu einer Residenz in den Wiener Musikverein.

Als bei Manfred Honeck das Telefon klingelt, ist er gerade auf den Weg ins Lincoln Center New York. Es ist bitterkalt, von Frühling noch keine Spur. Demnächst dirigiert er hier ein Konzert mit den New Yorker Philharmonics und man will gleich miteinander proben. Lange Zeit galt der Österreicher als Anwärter für die Stelle des Chefdirigenten – letztendlich machte dann doch Jaap van Zweden das Rennen. Honeck nimmt es gelassen. Bis 2020 bleibt des ehemalige Solo-Bratschist der Wiener Philharmoniker beim Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO), deren Chef er seit 2008 ist.

Das kulturelle Wahrzeichen der Stadt ist neben dem Andy Warhol Museum sein Orchester – eines der besten weltweit. Schließlich war es im Lauf der Geschichte Wirkungsstätte zahlreicher großer Dirigentenpersönlichkeiten, darunter Otto Klemperer, Lorin Maazel, Andre Previn oder Mariss Jansons. Nun führt Manfred Honeck diese Tradition als Musikdirektor des PSO weiter. Das Aufregende am Klang der Pittsburgher, dessen Repertoire vom Barock über die Klassik bis hin zur deutschen Romantik und zeitgenössischen Musik reicht, ist die Verbindung aus beiden, amerikanischen und europäischen musikalischen Tugenden: Virtuosität und hinreißende technische Brillanz gepaart mit Emotionalität und orchestraler Transparenz. „Die Arbeit mit den Musikern ist fantastisch und Pittsburgh hat eine unglaubliche Lebensqualität“.

Mehr als ein Jahrhundert lang wurde hier Eisen, Stahl und Kohle produziert. Mit dem Niedergang der Schwerindustrie Anfang der Achtziger musste sich Pittsburgh neu erfinden. Statt Stahl produziert man heute High-Tech-Innovation – einschließlich grüner Technologie, Bildung, Forschung und Entwicklung. 2009 kürte der Economist Pittsburgh zur „lebenswertesten Stadt der USA“; Forbes zählt sie gar zu den „10 saubersten Städten weltweit“. Kein Wunder, dass Manfred Honeck seinen Vertrag bis 2020 verlängern ließ.

Dass eine Stadt wie Pittsburgh mit ihren 300.000 Einwohnern ein eigenes Orchester von Weltrang beherbergt, ist jenen berühmten Unternehmern zu verdanken, die nicht nur Industrielle waren, sondern auch einen ausgeprägten Sinn für die Schönen Künste hatten. Männer wie H. J. Heinz, dessen Name heute auf Ketchupflaschen in aller Welt steht, oder Andrew Carnegie, der nicht nur Büchereien, Museen und Konzertsäle stiftete, sondern auch der Meinung war, dass „seine“ Stadt über ein eigenes Symphonieorchester verfügen müsse. 1896 verkündete Carnegie stolz: „Pittsburgh now has a permanent orchestra“. Eine Tradition der Kulturförderung, die bis heute geblieben ist. Weiterhin leben in Pittsburgh hochkultivierte, großzügige Menschen, die Kultur unterstützen und großes Interesse daran haben ihr Orchester auf seinem hervorragenden Niveau zu halten. „In einem Land wie den USA, wo Kultureinrichtungen so gut wie ausschließlich von Spendengeldern privater Mäzene leben, sind wir auf solche Menschen angewiesen“, sagt Manfred Honeck. „Menschen, die für ein kulturelles Bewusstsein eintreten und Überzeugungsarbeit leisten“. Erfolg messe sich schließlich nicht nur an nackten Zahlen. Manfred Honeck: Nicht alles darf sich den Regeln des Geldes und der Wirtschaft unterwerfen. Eine Stadt ohne Kultur ist eine tote Stadt. Das PSO ist unser Aushängeschild. Wo auch immer es auftritt, baut es Brücken zwischen Pittsburgh und dem Rest der Welt“.

In ihrem Zuhause, der Heinz Hall, einem ehemaligen Stummfilmkino im „Cultural District“ von Downtown Pittsburgh, spielen Manfred Honeck und das PSO neben den großen symphonischen Programmen auch innovative Konzertformate: einen Abend mit dem exzentrischen Organisten Cameron Carpenter etwa, der auf seiner maßgeschneiderten Tour-Orgel Rachmaninoffs Paganini-Rhapsodie in der eigenen Bearbeitung für Orgel und Orchester spielte. Oder ein Gesprächskonzert mit Hollywoodstar und Klassikliebhaber Alec Baldwin, der hier erst kürzlich eine Auswahl seiner Lieblingswerke präsentierte. Kommendes Jahr ist eine szenische Aufführung von Haydns Schöpfung geplant – ein Konzert, dass das Publikum auch zum Nachdenken anregen soll, so Manfred Honeck. „Wir werden das Thema Umwelt miteinbeziehen und die Frage aufwerfen, wie wir Menschen eigentlich mit unserem Planeten umgehen. Als Künstler haben wir die Aufgabe einen Bezug zum Hier und Jetzt herzustellen. Mit unserer Musik wollen wir die Menschen mit all ihren Sehnsüchten, Gefühlen und Probleme berühren“.

Während im krisengebeutelten Amerika selbst die amerikanischen Orchestereliten ums Überleben kämpfen müssen, hat Manfred Honeck das PSO an der internationalen Weltspitze gehalten und dem Klangkörper seinen eigenen, persönlichen Stil gegeben. Davon zeugen auch die ausgezeichneten Aufnahmen mit dem Orchester, darunter Antonín Dvoráks achte Symphonie, die für einen Grammy nominiert wurde oder den Zyklus mit den Symphonien Mahlers und Beethovens, den Honeck in den kommenden Jahren fortsetzen will. Und gerade ist seine Sicht auf Tschaikowskis Sechste erschienen. In Pittsburgh lässt es sich mit den Musikern bis ins kleinste Detail arbeiten und gemeinsam neue Pfade erkunden. Wobei das Wichtigste in der Musik ohnehin nicht in den Noten stehe, zitiert Honeck seinen Lieblingskomponisten Gustav Mahler. „Der Notentext ist wie eine leere Landkarte. Die Musik entsteht erst durch die vielen Eindrücke, die man auf der Reise mitnimmt“.

Am 20. Mai landet die Orchestermaschine aus Pittsburgh in Europa – jenem Kontinent, der die Klangkultur der Amerikaner geformt und maßgeblich beeinflusst hat. „Back to the roots“, sagen die Pittsburgher, wenn sie von ihrer anstehenden Europatournee sprechen. Heimspiel könnte man es auch nennen. An drei Abenden gastieren Manfred Honeck und das PSO im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins mit Musik, die von der Wiener Klassik über die Romantik bis hin zu Werken des 20. und 21. Jahrhunderts reicht. Am 26. Mai spielt Martin Grubinger ein Schlagzeugkonzert von Bruno Hartl, dem Solo-Pauker der Wiener Philharmoniker, tags darauf gastiert Daniil Trifonov mit Liszts 1. Klavierkonzert und am 28. Mai interpretiert Leonidas Kavakos Alban Bergs „Dem Andenken eines Engels“ gewidmeten Konzert für Violine und Orchester. Außerdem stehen noch Werke von Haydn, Beethoven, Dvorák und Tschaikowski auf dem Programm.

Wenn Manfred Honeck in Wien landet, wird er sich wahrscheinlich erst einmal einen Tafelspitz gönnen und davor vielleicht eine Grießnockerlsuppe. Am Telefon erkundigt er sich nach den Neuigkeiten aus der Heimat und will wissen, ob in Wien die Bäume schon blühen. Es klingt ein wenig nach Sehnsucht. Obwohl Manfred Honeck oft in Europa gastiert und gerne in Amerika arbeitet, vermisst er die Berge, den Wein und die wienerische Kaffeehauskultur. Wenn er spricht, schleichen sich immer wieder englische Phrasen ein. Als er darauf aufmerksam gemacht wird, muss er lachen. Zeit, heimzukehren.

www.pittsburghsymphony.org
www.musikverein.at

Pittsburgh Symphony Orchestra / Manfred Honeck Tschaikovsky & Dvořák  Reference Recordings

Pittsburgh Symphony Orchestra / Manfred Honeck
Tschaikovsky & Dvořák
Reference Recordings