Alex Penda (Poppea), Valer Sabadus (Nerone), Jake Arditti (Amore). Foto: M. Rittershaus

Die Faszination der hohen Töne

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Im Barock sorgte die Gesangskunst der Kastraten für Ekstase. Im Zuge historischer Aufführungspraxis haben diese Partien heute die Countertenöre übernommen, eta Falsettsänger Valer Sabadus, der ab 12. Oktober in Monteverdis L’incoronazione di Poppea im Theater an der Wien zu erleben ist. Die neuen Stars im Klassik-Betrieb und ihre Geschichte.

Was für ein Spektakel das gewesen sein muss! Frauen, die reihenweise in Ohnmacht fallen und statt Blumen ihre Juwelen auf die Bühne werfen. Männer, die vor Eifersucht toben. Ein barockes Spektakel der Superlative, und ein Publikum, das in regelrechte Ekstase gerät, wenn sie das Podium betreten.

Die Gesangskunst der Kastraten war von betörender Schönheit und Erotik, ihre technische Meisterschaft unglaublich. Dagegen hatten selbst die großen Sängerinnen der damaligen Zeit keine Chance. Rasende Läufe, funkelnde Koloraturen, aberwitzige Oktavsprünge, kristallklare Staccato-Figuren durch alle Gipfellagen des Notensystems, Verzierungen und Kadenzen – so eine messa di voce hatte die Welt noch nicht gehört. „Ein Gott, ein Farinelli“ rief einmal eine Londoner Dame, und tatsächlich genossen Sänger wie Farinelli, Senesino, Cafarelli, Porporino oder Carestini im Neapel des frühen 18. Jahrhunderts nicht nur hohes Ansehen. Das Publikum lag ihnen zu Füßen und für ihre Künste wurden sie mit großzügigen Honoraren bedacht. Cafarelli wurde so reich, dass er sich ein eigenes Herzogtum kaufen konnte.

Farinelli & friends

Farinelli & friends

Schuld an der europaweiten Euphorie war kein anderer als Apostel Paulus, nach dessen biblischem Verdikt die Frauen in der Kirche zu schweigen hatten. 1588 nahm Sixtus V. die berüchtigte Stelle im ersten Korintherbrief gar wörtlich und verbannte Frauen gänzlich von der Bühne. Ersatz musste her und so entstand das ebenso florierende wie grausame Geschäft mit der Kastration. Ihre helle, reine Stimme machte nur eine Handvoll zu Superstars. Für viele Jungen hatte der Schnitt mit dem Messer fatale Folgen. Die meisten Kastraten litten ein Leben lang unter den Folgen der Verstümmelung. Wenn sie Glück hatten, landeten sie in provinziellen Kirchenchören. Wenn nicht, wurden sie auf Jahrmärkten als kreischende Kuriositäten belacht oder endeten in der Prostitution.

Für die Komponisten des Barock hingegen, waren die singenden Eunuchen ein nie enden wollender Quell der Inspiration. Ob Monteverdi, Vivaldi, Händel, Hasse oder Gluck – sie alle schrieben für die „Evirati“, die Entmannten, die virtuosesten Bravour-Arien. Gemäß der olympischen Maxime „schneller, höher, stärker“, sangen die Kastraten um die Wette und überboten einander als Cäsar, Antonius, Germanicus, Nero oder Rinaldo an Virtuosität und Farbvielfalt. Von den kastrierten Sängern mit den mächtigen Lungenflügeln und dem knabenhaft kleinen Kehlkopf muss ein Zauber ausgegangen sein, den sich heute wohl niemand mehr vorstellen kann. Die Stimme als erotisches Organ der Entmannten. Die messa di voce als vokaler Orgasmen über dreieinhalb Oktaven. Da war der genitale Mangel rasch vergessen.

Der Komponist Claudio Monteverdi.

Der Komponist Claudio Monteverdi.

Heute sind die Zeiten, in denen ein Mann mit der Stimme einer Frau singt, weil er keine Hoden mehr hat, glücklicherweise längst vorbei. Mit dem Ende des römischen Kirchenstaats 1870 wurde das Schnippeln an Präpubertierenden endgültig abgeschafft. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten Kastraten ihren Zauber verloren und waren immer weniger gefragt. Die männliche hohe Stimme verursachte plötzlich Unbehagen und verschwand schließlich ganz von der Bühne.

Als Alfred Deller, der erste berühmte Countertenor, nach dem Zweiten Weltkrieg seine Karriere begann, war das Wissen um die Kunst der Kastraten fast vergessen. Selbst als man in den Fünfzigern plötzlich wieder Gefallen an der Barockmusik fand, wurden die Rollen vor allem von Frauen gesungen oder für männliche Stimmen in tiefere Lagen transponiert. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten, in denen sich die historische Aufführungspraxis so richtig durchzusetzen begann, wurden die Kastratenpartien wieder von Countertenören gesungen, um möglichst nahe an die Originalmusik heranzukommen. Vom Boom der Barockmusik profitierten auch die Countertenöre. Andreas Scholl, Jahrgang 1967, war der erste, der ein wirklich breites Publikum erreichte. Dem Massenpublikum waren hohe Männerstimmen ohnehin längst vertraut – von den Bee Gees und Supertramp über David Bowie bis hin zu Heavy-Metal Bands. Statt Cafarelli, Senesino oder Farinelli, heißen die Stars von heute Max Emanuel Cencic, Franco Fagioli, Philippe Jaroussky, Valer Sabadus oder Jake Arditti. Das Androgyne ist längst wieder in, ebenso wie das lustvolle Spiel mit den Geschlechterrollen.

„Die Kastraten waren überragende Sänger, auch wenn wir das heute bloß erahnen können“, sagt Max Emanuel Cencic. Und wenn schon. Diese jungen Männer, die mit Kopfstimme singen, sind echte Stars im Klassik-Betrieb. Und sie zeigen, wie hoch das technische Niveau der Countertenöre sein muss, wie groß die stimmliche Vielfalt. Da ist etwa Philippe Jaroussky mit seinem knabenhaft schönen Sopran. Da sind Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic, zwei Virtuosen, die einander gerne mit allerlei stimmlichen Kunststücken überbieten und das Publikum in Staunen versetzen. Da ist der junge Valer Sabadus, der technische Perfektion mit höchster Musikalität verbindet. Und da ist der Brite Jake Arditti, Sohn des Begründers des berühmten Arditti-Quartetts und Rising Star der Szene mit beeindruckenden Höhen und großartigen Koloraturen.

Bei all dem Barock-Boom und der Faszination der hohen Töne – sind Countertenöre endgültig im Opernbetrieb angekommen? „Nein“, sagt Max Emanuel Cencic. „Auf den großen Bühnen sind wir nach wie vor nicht stark vertreten. Die Barockmusik ist eine unabhängige Szene, kein Betrieb im klassischen Sinne. Man bekommt kein festes Engagement, wo man sich ein Repertoire erarbeiten kann und kein festes Gehalt. Das hat nichts mit Qualität zu tun, sondern mit der gängigen Praxis an den meisten Opernhäusern. Vor 20 Jahren wurden Countertenöre als etwas Unerhörtes wahrgenommen. In der klassischen Szene wird dieses Image gerne weiter gepflegt, obwohl es nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Natürlich ist die Barockwelt exotisch. Sie ist surreal und faszinierend zugleich. Wer bei Countertenören an eine tuntige Travestieshow denkt, der hat diese Musik nicht verstanden. Wir sind Künstler und keine Freaks.“

Alex Penda (Poppea), Valer Sabadus (Nerone), im Hintergrund: Jake Arditti (Amore), Natalia Kawalek (Virtù). Foto: Monika Rittershaus

Alex Penda (Poppea), Valer Sabadus (Nerone), Jake Arditti (Amore), Natalia Kawalek (Virtù). Foto: M. Rittershaus

Theater an der Wien: L’incoronazione di Poppea
Oper in einem Prolog und drei Akten
Musik von Claudio Monteverdi
Libretto von Giovanni Francesco Busenello

Nach L´Orfeo und Il ritorno d´Ulisse in patria beschließt Regisseur Claus Guth mit L’incoronazione di Poppea seinen Monteverdi-Zyklus in Wien. Das letzte Werk des barocken Meisters hat alles, was ein dramatisches Libretto braucht: Liebe und Erotik, Machtgier und Korruption, Begierde und Eifersucht. Gemeinsam mit dem Ensemble Matheus unter Jean-Christophe Spinosi gibt Valer Sabadus in der Rolle des Kaiser Nero an der Seite von Jennifer Larmore (Ottavia) sein Debüt am Theater an der Wien.

Premiere: 12. Oktober 2015, 19 Uhr
Weitere Termine: 14., 16., 19., 21., & 23. Oktober 2015

 

Lyrischer Mezzosopran (Foto: Henning Ross)

Valer Sabadus: Lyrischer Mezzosopran (Foto: Henning Ross)
Valer Sabadus wurde in Rumänien geboren und übersiedelte mit fünf Jahren nach Deutschland. Als er Andreas Scholl zum ersten Mal im Fernsehen singen hörte, wusste er sofort: das will ich auch. Hoch zu singen ist für den 29-Jährige das Natürlichste der Welt, und er liebt das Spiel mit den Geschlechtern. „Ich schlüpfe gerne in die Rolle einer Frau. Als Künstler will ich an meine Grenzen gehen“. Für seine CD “Le Belle Immagini” erhält Sabadus demnächst den Echo-Klassik. Es ist bereits sein zweiter.

Jake Arditti: Counter-Shooting-Star Der britische Countertenor kommt aus einer Musikerfamilie und begann seine gesangliche Laufbahn im Knabenchor. „Ich wollte immer schon performen“, erzählt der junge Altus. Seine erste Gesanglehrerin versprach ihm, dass er als Countertenor genug Geld für mindestens zwei Porsches verdienen würde. Jetzt fährt Arditti einen Fiat 500 („vorläufig“), experimentiert gerne mit neuem Repertoire (Hänsel und Gretel), singt im Jungen Ensemble des Theater an der Wien und pfeift auf Geschlechterklischees. Er ist Mitglied des Jungen Ensemble des Theater an der Wien und derzeit ebenda als "Amor" in Monteverdis "L´Incoronazione di Poppea" zu erleben. Foto: Monika Rittershaus

Jake Arditti: Counter-Shooting-Star
Der britische Countertenor kommt aus einer Musikerfamilie und begann seine gesangliche Laufbahn im Knabenchor. „Ich wollte immer schon performen“, erzählt der junge Altus. Seine erste Gesanglehrerin versprach ihm, dass er als Countertenor genug Geld für mindestens zwei Porsches verdienen würde. Jetzt fährt Arditti einen Fiat 500 („vorläufig“), experimentiert gerne mit neuem Repertoire (Hänsel und Gretel), singt im Jungen Ensemble des Theater an der Wien und pfeift auf Geschlechterklischees. Er ist Mitglied des Jungen Ensemble des Theater an der Wien und derzeit ebenda als “Amor” in Monteverdis “L´Incoronazione di Poppea” zu erleben. (Foto: Monika Rittershaus)

Max Emanuel Cencic: Sänger und Unternehmer (Foto: Anna Hoffmann) Mit sechs sang er erste Arien im Fernsehen, mit zehn hatte der damals „beste Knabensopran“ 200 Auftritte hinter sich. Heute gehört der knapp 40-Jährige zu den Besten seines Fachs. Als Unternehmer produziert er Alben junger Künstler und komplette Opern. „Es geht mir nicht ums Geld. Ich will neues Repertoire erkunden und eigene Ideen verwirklichen“. Vor einigen Wochen wurde der Neo-Pariser zum Chevalier des Arts et Lettres ernannt. Er lächelt: „In Frankreich bin ich jetzt offiziell ein Star!“

Max Emanuel Cencic: Sänger und Unternehmer (Foto: Anna Hoffmann)
Mit sechs sang er erste Arien im Fernsehen, mit zehn hatte der damals „beste Knabensopran“ 200 Auftritte hinter sich. Heute gehört der knapp 40-Jährige zu den Besten seines Fachs. Als Unternehmer produziert er Alben junger Künstler und komplette Opern. „Es geht mir nicht ums Geld. Ich will neues Repertoire erkunden und eigene Ideen verwirklichen“. Vor einigen Wochen wurde der Neo-Pariser zum Chevalier des Arts et Lettres ernannt. Er lächelt: „In Frankreich bin ich jetzt offiziell ein Star!“

Franco Fagioli: Virtuose Registerwechsel (Foto: Julian Laidig) Der Argentinier (Jahrgang 1981) ist der vielleicht Virtuoseste seiner Zunft. Kein Wunder, bei einem Stimmumfang von drei Oktaven. 2012 debütierte Fagioli bei den Salzburger Festspielen und beglückt seither das Publikum u.a. an den Opernhäusern von Paris, London, Wien und Zürich. Im Juli wurde Fagioli als erster Countertenor überhaupt von der Deutschen Grammophon unter Vertrag genommen. Sein erstes Album mit Glucks "Orfeo ed Euridice" ist soeben erschienen, eine CD mit Solo-Arien für 2016 geplant.

Franco Fagioli: Virtuose Registerwechsel (Foto: Julian Laidig)
Der Argentinier (Jahrgang 1981) ist der vielleicht Virtuoseste seiner Zunft. Kein Wunder, bei einem Stimmumfang von drei Oktaven. 2012 debütierte Fagioli bei den Salzburger Festspielen und beglückt seither das Publikum u.a. an den Opernhäusern von Paris, London, Wien und Zürich. Im Juli wurde Fagioli als erster Countertenor überhaupt von der Deutschen Grammophon unter Vertrag genommen. Sein erstes Album mit Glucks “Orfeo ed Euridice” ist soeben erschienen, eine CD mit Solo-Arien für 2016 geplant.