„Kunst macht das Leben erträglicher“

(Foto: Werner Kmetitsch)

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Salzburg, Felsenreitschule. Im Saal der Kulisse Salzburg steht ein Podest mit einem Tisch und vier Stühlen. An der Seite von Ingo Metzmacher wird Peter Konwitschny später über die gemeinsame Arbeit an Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexiko“ sprechen. Konwitschny, 70, groß geworden in der DDR, zählt zu den wichtigsten Musiktheater-Regisseuren der Gegenwart. In Salzburg feiert der „Antichrist der Freunde der toten Oper“ sein spätes Festspieldebüt. Mit rosafarbenen Crocks, Jeans und legerem Hemd, die weißen Haare zu einem kleinen Zopf zusammengebunden, spricht er über die gemeinsame Arbeit an Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexiko“.

Herr Konwitschny, was ist Ihnen lieber: neue Stücke oder klassisches Repertoire, das schon eine gewisse Rezeptionsgeschichte hat?

Ich inszeniere lieber ältere Stücke. Da kann ich zeigen, wie das richtig geht und nicht wie die Werke seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten verharmlost werden (lacht). Wenn ich mich mit einem Werk auseinandersetze, will ich bis zum Kern vordringen, indem ich den ganzen Staub und die ganze Patina wegkratze.

Wie wichtig ist es, dass Ihnen die Musik emotional nahe geht?

Sehr wichtig. Vor Kurzen habe ich in Gent „Die Jüdin“ von Halévy inszeniert. Mit dieser Musik hätten Sie mich früher jagen können. Erst durch die Arbeit habe ich sie mögen gelernt und vor allen Dingen verstanden. Wir dürfen nicht überheblich sein. Das lerne auch ich immer wieder neu. Die Folgen des „Nicht-Verstehens“ können fatal sein, nicht nur in der Welt der Kunst. Wenn wir nicht verstehen, wer der andere ist und vor allem, warum er anders ist, mündet das in Rassismus, Gewalt und Fremdenhass, eben in Eroberung.

Die „Eroberung von Mexiko“ hat kein Libretto im herkömmlichen Sinn. Wie bringt man ein so fragmentarisches, surreales und assoziativ wild wucherndes Sujet auf die Bühne?

Das Wichtigste ist hier, einen roten Faden zu spinnen, an dem diese disparaten Molekularteilchen hängen und miteinander verbunden werden, sodass sie eine Assoziationskette ermöglichen. Bei mir ist der rote Faden ein Paar, eine Frau und ein Mann: Der Mann als Eroberer und der Frau als Beute. Rihm war diese Polarisierung wichtig. Nicht umsonst lässt er, anders als im Text von Antonin Artaud, eine der beiden Hauptfiguren, die nach dem Aztekenfürst Montezuma benannt ist, von einer Frau singen.

Worum geht es heute in der Oper?

Um Wahrhaftigkeit. Nicht um Unterhaltung und auch nicht um die Frage, ob die Produktion erfolgreich sein wird. Oper muss einen Sinn haben, nicht nur für das Schickimicki-Publikum, sondern für die Gesellschaft. Im Idealfall sollten wir durch die Kunst reifer, klüger und gebildeter werden. Leider ist das heute kaum noch der Fall. Je weniger Perspektive die Menschen haben, desto mehr Kulinarik wird produziert. Schöne Bühne, schöne Kostüme, große Stars. Die Kraft des Theaters wird inzwischen global zum Event, zum Bestaunen, zur Ablenkung degradiert.

Glauben Sie, dass moderne Oper schwieriger für ein normales Publikum ist?

Ich denke, die Gefahr, dass das Publikum nichts versteht, ist sehr groß. Das kommt durch die globale Zurückdrängung der Kultur. Ich muss mich da selber einbeziehen. Wir werden alle immer dümmer, durch die Werbung etwa oder die so genannte Fernseh-Unterhaltung. Das bleibt nicht folgenlos.

Ist ein Umkehrprozess überhaupt noch möglich?

Nur durch eine riesige Katastrophe, nämlich den Untergang der abendländischen Zivilisation. Die Operngesellschaft wird immer kleiner, genau so wie die Mittelklasse. Es gibt immer mehr Arme und immer weniger, dafür aber unfassbar Reiche. Wir produzieren Kunst, während Menschen im Mittelmeer ersaufen. Die Politik ist zunehmend nicht mehr in der Lage, Dinge zu verändern.

Und Sie meinen, dass die Kunst etwas gegen dieses Elend bewirken kann?

Nein, nicht unmittelbar. Mir gibt sie aber Kraft, Leben zu unterstützen und zu fördern, auch mein eigenes. Die Kunst macht das Leben erträglicher.

Wenn wir von einer weitgehend saturierten Masse ausgehen, wie wirkt sich das auf Sie als Kunstschaffender aus? Sehen Sie einen gewissen Bildungsauftrag an das Publikum durch ihre Arbeit?

Dem Bildungsauftrag fühle ich mich absolut verpflichtet: Sophokles, Lessing, Schiller, Brecht, Heiner Müller. Das saturierte Publikum ist kein Partner.

Das sitzt aber auch in Ihren Inszenierungen.

Noch bestimmt es aber nicht, was ich mache. Zum Glück gab und gibt es Menschen wie Gérard Mortier, die Künstler wie mich unterstützen. Sehr zum Ärger der Freunde der toten Oper, die mir sogar nachreisen, um Stimmung gegen mich zu machen.

Berührt Sie das?

In der DDR war es schwieriger. Wenn im Neuen Deutschland, dem Parteiblatt der SED, stand: „dem Mann muss man das Handwerk legen“, dann konnte das auch ein Berufsverbot bedeuten. Jetzt ist das nicht mehr so. Jetzt gibt es statt dem Verbot ein Gebot: es muss verkäuflich sein. Was in unserer gottlosen Welt nicht käuflich und verkäuflich ist, fällt raus, weil es nicht digitalisierbar ist. Das heißt: alles Lebendige.

Keinem anderen Regisseur ist so sehr der Begriff Regietheater angeheftet worden, nicht selten als Schimpfwort. Ist die Zeit des Regietheaters eigentlich vorbei?

Die Frage gebe ich an Sie zurück: Kann es Theater ohne Regie überhaupt geben?

Trotzdem sind Sie nun in Salzburg, der Hochburg der Freunde der toten Oper.

Zunächst bin ich hier, weil Herr Bondy schwer krank ist und deshalb nicht Regie führen kann. Aber ich freue mich auf Salzburg und auf Ingo Metzmacher, mit dem ich nach den intensiven gemeinsamen Jahren in Hamburg endlich wieder zusammenarbeiten kann.

Gehen Sie selbst in die Oper?

Ganz, ganz selten. Die meisten Inszenierungen sind für mich ziemlicher Schrott.

Ad Personam:

Peter Konwitschny kam 1945 in Frankfurt (Main) zur Welt, wuchs aber mit seiner Mutter, einer Sängerin und seinem Vater, dem Dirigenten und langjährigen Gewandhauskapellmeister Franz Konwitschny in Leipzig auf. Nach einem Regie-Studium in Ost-Berlin arbeitete er als Regieassistent am Berliner Ensemble und wurde in den späten 80er Jahren der Hausregisseur am Theater in Halle. Konwitschny arbeitete an fast allen großen Häusern, zeitweilig intensiv mit dem Dirigenten Ingo Metzmacher in Hamburg, wo er einige legendäre Produktionen, darunter Bergs „Wozzek“, Wagners „Lohengrinn“ und Schönbergs „Moses und Aron“ inszenierte. Für seine polarisierenden Arbeiten wurde er mehrfach zum Regisseur des Jahres gewählt. Mit Wolfgang Rihm setzt er sich szenisch zum ersten Mal auseinander.

Die Eroberung von Mexiko

Die fatale Konfrontation zweier Kulturen machte Wolfgang Rihm zum Thema seiner Oper „Die Eroberung von Mexiko“: Im Mittelpunkt des opulenten Musiktheaters stehen Atztekenherrscher Montezuma (Sopranistin Angela Denoke) und der spanische Eroberer Cortés (Bariton Bo Skovhus). Aus dem surrealen Prosaentwurf „La Conquête du Mexique“ (1932) des Franzosen Antonin Artaud und einem Liebes-Gedicht von Octavio Paz schuf Rihm eine Textcollage, Klanginseln, und Klangskulpturen, die er zu einem Gesamtkunstwerk vereinte. Dabei geht es in der Oper weniger um äußerliche Gewalt als um verpasste Kommunikation. Es bleiben Zerstörung, Leid und Tod.

Premiere: 26. Juli, 20 Uhr, Felsenreitschule