„Das Wort Routine ist für mich tabu“

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Piotr Beczala (Foto: Kurt Pinter)

Piotr Beczala (Foto: Kurt Pinter)

Piotr Beczala zählt derzeit zu den erfolgreichsten Tenören und steht regelmäßig auf den großen internationalen Bühnen, überzeugt die Kritiker sowohl im französischen als auch im italienischen Fach. An der Seite von Anna Netrebko singt er bei den Salzburger Festspielen den Rodolfo in Puccinis „La Bohème“, eine Partie, mit der er schon an der Met und an der Wiener Staatsoper Erfolge gefeiert hat.

Herr Beczala, Sie sind bis 2018 ausgebucht. Sagen Sie auch mal „nein“ zu einer Rolle?

Selbstverständlich, sehr oft sogar.

Wann haben Sie zuletzt „nein“ gesagt?

Bei gewissen Rollen tue ich das immer wieder. Zum Beispiel werde ich seit Jahren gefragt, ob ich nicht den Don Carlos singen möchte.

Und?

Don Carlos ist ein sehr zerrissener Mensch, und das schlägt sich auch in der Interpretation nieder. Dort fühle ich mich noch nicht angekommen.

Sie haben vor zehn Jahren Ihren ersten Rodolfo in Amsterdam gesungen. Wie hat sich Ihr Zugang zu der Rolle seither verändert?

Ich kann heute mit der Partie viel mehr anfangen, vor allem stimmlich. Viele Feinheiten in der Musik sind mir jetzt bewusster als damals. Jede Vorstellung bringt mich ein bisschen weiter, und das ist auch das Schöne an diesem Beruf. Ich wiederhole eine Rolle nie, sondern ich gestalte sie immer wieder neu und wachse von Vorstellung zu Vorstellung ein bisschen mehr in sie hinein.

In New York und in Wien haben Sie gemeinsam mit Anna Netrebko die Bohème in der berühmten Zefirelli-Inszenierung gesungen. Wie war es diese Neuproduktion zu erarbeiten?

Zunächst einmal galt es den guten alten Zefirelli hinter sich zu lassen und die Rolle aus einem ganz neuen Blickwinkel zu betrachten. Damiano Michieletto erzählt eine berührende Geschichte zwischen modernen Menschen, frei von jeglichen Klischees. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, trotz eines modernen, neuen Zugangs darauf zu achten, dass der typische Puccini-Gesang nicht verloren geht. Das Wichtigste muss die Stimme bleiben.

Was macht den typischen Puccini-Gesang aus?

Der runde Klang und der Schmelz in der Stimme. Das Lyrische, Leichte, Flexible, die Atemkontrolle. Wenn der Regisseur erwarten würde, dass man ständig die Bühne rauf und runter rennen muss, dann hätte man nicht den ruhigen Atem, um die großen Bögen zu singen.

Wie weit würden Sie für eine Rolle gehen?

Ich habe einmal gesagt, dass ich mir sogar eine Glatze rasieren würde, da hat meine Frau allerdings etwas dagegen. Aber eine kleinere, auf ein, zwei Monate angelegte Veränderung kann man schon wagen, finde ich. Lassen Sie sich überraschen.

Brauchen wir eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Oper?

Ich denke, dass eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Oper gut und notwendig ist, solange wir dabei die Kunst nicht aus den Augen verlieren. Mir ist es egal, ob ich mit modernen oder traditionellen Regisseuren zusammenarbeite, wenn sie ihre Arbeit in den Dienst der Musik stellen. Dort liegt die ganze Wahrheit. Ob das Stück auf der Bühne nun im 19. oder im 21. Jahrhundert spielt, spielt für mich keine Rolle, solange die Figuren glaubhaft sind.

Was macht die Faszination der Bohème aus?

Puccini hat die Geschichte von Liebe, Eifersucht, Verrat, Treue und Tod musikalisch perfekt umgesetzt. Jeder Augenblick ist meisterhaft geschildert. La Bohème ist ein Meisterwerk in dem die Fülle wunderbar gelungener Einzelheiten sich zu einem herrlichen Ganzen verbindet.

Wie weit identifizieren Sie sich mit der Figur des Rodolfo, wenn sie auf der Bühne stehen?

Ich versuche als Sänger so viel wie möglich an echten Emotionen in die Partie hineinzulegen, ohne mich selbst aus den Augen zu verlieren.

Wie finden Sie die richtige Balance zwischen Kontrolle und Hingabe?

Die Figur muss einem selber und dem Publikum glaubhaft vorkommen. Wenn man die Rolle auf der Bühne zu 100 Prozent leben will, dann wirkt sie unecht. Was es braucht, ist ein gespieltes Echtes.

Schleicht sich bei einer Rolle jemals so etwas wie Routine ein?

Das Wort Routine ist für mich tabu. Sobald ich auf der Bühne stehe, verwandle ich mich die Rolle, die ich singe, ob das nun zwei oder zwanzig Aufführungen sind. Und am Ende der Vorstellung streife ich den Rodolfo, den Werther oder den Faust wieder ab. Es ist wie ein Mantel, den man vorübergehend in den Schrank hängt.

Sie mischen mittlerweile an der Spitze der lyrischen Tenöre mit. Ihnen und Ihrer Karriere haben Sie einen Luxus gegönnt, der heute selten geworden ist: Zeit.

Mit einer guten Stimme und einer Handvoll Geld kann man heute innerhalb eines Jahres aus einem Niemand einen Opernstar machen. Im Sport kennt man das Phänomen, dass Talente, wie man sagt, verheizt werden. Das ist bei uns Musikern nicht anders. Ich wollte mir und meiner Stimme Zeit lassen. Neben Zielstrebigkeit gehören Geduld und Verantwortung zu den wichtigsten Tugenden beim Aufbau einer Karriere. Glücklicherweise hatte ich gute Berater an meiner Seite, wie meine Frau oder mein Gesanglehrer Dale Fundling, mit dem ich seit 19 Jahren zusammenarbeite.

Sie singen ausschließlich italienisches und französisches Repertoire. Könnten Sie sich vorstellen in ein paar Jahren ins Wagner-Fach zu wechseln?

Wagner und ich, das ist eine komplizierte Beziehung. Die Angebote sind natürlich da, und ich versuche in letzter Zeit mich nicht vollkommen dagegen zu wehren. Es kann also gut sein, dass ich in naher Zukunft einen Ausflug ins Deutsche Fach mache, auch weil ich es einem gewissen Dirigenten versprochen habe.

Leiden Sie als Weltreisender manchmal an Heimatlosigkeit?

Gemeinsam mit meiner Frau, die mich auf meinen Reisen begleitet, versuchen wir uns überall ein Heim aufzubauen, selbst wenn es nur für kurze Zeit ist, so wie jetzt in Salzburg. Meine Frau hat hier sogar einen kleinen Gemüsegarten angelegt. In ein paar Wochen werden wir dann Rote Rüben, Tomaten und Salat ernten – ist das nicht herrlich?