In der Ruhe liegt die Kunst

Biorama Magazin

Foto: Stefan Knittel

Das Vergängliche zurücklassen, am Ewigen teilhaben, das ist Chadô, der Weg des Tees. Tief in der japanischen Gesellschaft verankert, umschließt der Kult um das grüne Getränk Harmonie, Reinheit und Stille. Gegen Unordnung und Wirrnis, Hässliches und Schmutziges, Hast und Unruhe.

Vergiss niemals,

dass der Weg des Tees nichts ist als dies:

Wasser aufbrühen,

Tee machen und Tee trinken

(Sen no Rikyû (1522-1591)

Ein warmer Herbsttag. Das Laub der Bäume, von den Sonnenstrahlen umschmeichelt, scheint um die Wette zu leuchten. Als wollte er sich nicht von seinem Schmuck trennen, wehrt sich der Ahorn seine purpurfarbenen Blätter loszulassen – vergebens, denn jeder Windstoß lässt ein paar mehr auf den weichen Rasen fallen, wirbelt sie kurz in der Luft, ehe sie auf den mit Moos eingebetteten runden Trittsteinen liegen bleiben. Die Luft ist immer noch warm, und doch spürt man die Vergänglichkeit des Augenblicks. Schon in wenigen Wochen wird Kyôto unter einem weißen Wintermantel verschwunden sein.

„Man kann mitten in der Großstadt sein und sich doch weit entfernt von ihrem Staub und Lärm fühlen“, schrieb Kakuzo Okakura einst in seinem „Buch vom Tee“. Und so verbergen sich in der einstigen Kaiserstadt unzählige Teepavillons, hinter den alten traditionellen Häusern, in Tempeln oder Parks. Der Teekult in Japan ist bis zum heutigen Tage ungebrochen. Die Philosophie des Tees dient nicht nur der ästhetischen Freude im alltäglichen Sinn, vielmehr drückt sie zusammen mit Ethik und Religion die ganze Auffassung der Japaner von Mensch und Natur aus. Die Häuser, die Gebräuche, Kleidung und Küche, Porzellan, Lack, Malerei, ja selbst die Literatur – all das ist der 500 Jahre alten Tradition unterworfen gewesen.

Der Ort, ein Teegarten im Herzen der einstigen Kaiserstadt Japans soll als räumliche und geistige Vorbereitung auf die Teezusammenkunft dienen. Nichts wird hier dem Zufall überlassen, nur der Augenblick zählt, Zeit spielt keine Rolle. So spaziert man durch halbhohe, dicht gesetzte Bäume und Buschwerk, vorbei an Trittsteinen und – absichtlich – verstreuten Blättern, entlang an einem geschwungenen Pfad, gesäumt von alten Steinlaternen. In einem kleinen Empfangsraum wird ein erster, leichter Tee gereicht, ehe sich die Gäste schweigend zu einer kleinen gedeckten Bank begeben, wo sie gemeinsam auf den Gastgeber warten. Er wird sie schweigend begrüßen, was diese auch schweigend erwidern werden. In der Nähe des Teehauses, eingebettet von üppigem Farn, ein ausgehöhlter Stein, tsukubai,  von üppigen Moos überwachsen. Über das Wasser gebeugt werden nun Mund und Hände gereinigt, während der Duft erlesenen Weihrauchs vom Teehaus herüberweht. Es ist die Aufforderung einzutreten. Die sehr niedere, kleine Tür, etwa in Kniehöhe in der Wand eingelassen, verlangt eher ein Durchkriechen als ein Durchschreiten. Mit gebeugtem Kopf, den Blick auf die Füße gerichtet wird das Innere des Raums betreten. Wie einst der Samurai sein Schwert, so soll auch der Teegast alles, was ihn von den anderen unterscheiden könnte – Beruf, Rang, Stellung – außerhalb der Teehütte zurück lassen.

Behutsam schiebt Ikuko die helle, mit Papier bespannte Schiebetür zur Seite und betritt den schlichten klaren Raum, der nur von den wenigen Sonnenstrahlen, die das weit herabhängende schräge Dach hereinlässt, erleuchtet wird. Auf dem Boden liegen tatami-Matten, in der tokonoma-Nische hängt das kakemono, ein Bild mit kunstvoll gestalteter japanischer Handschrift und bis auf ein paar Kissen ist der Raum leer. „Das Wesentliche bei der Teezeremonie ist, dass man den Alltag hinter sich lässt und das Gefühl bekommt, in eine andere Welt einzusteigen. Eine Welt der Ruhe, der Harmonie. Alles soll angenehm sein und den Sinnen schmeicheln“, erklärt Ikuko das Ritual und beginnt mit der Zubereitung des Tees. Die Stille de Raums wird nur durch das Summen des siedenden Wassers, das in dem eisernen Kessel tönt, durchbrochen. Alle Geräte, das Gefäß für Spülwasser, der schmale Bambuslöffel für das Teepulver, der Bambusschöpfer, die Teedose und die Teeschale ergeben ein anmutiges Arrangement und sind so platziert, dass Ikuko sie leicht erreichen kann. Nun zieht sie ein weißes Tuch hervor, faltet es auf kunstvolle Art und Weise und wischt in einer eleganten Handbewegung die zuvor mit heißem Wasser ausgespülte Teeschale ab. Mit dem schmalen Löffel nimmt sie etwas von dem erlesenen Teepulver und gibt es in die Keramikschale. „Bitte, nehmen Sie von dem Kuchen“, fordert sie die Gäste auf und gießt mit der Schöpfkelle heißes Wasser aus dem Kessel über den Teebesen in die Teeschale. Die aus Bohnenpaste hergestellten und kunstvoll verzierten namagashi sind von einer feinen, unaufdringlich süßen Note, „damit sich nach ihrem Genuss der Geschmack des Tees voll entfalten kann“, erklärt Ikuko und beginnt den Tee zu schlagen, so lange, bis eine dickflüssige, hellgrüne Flüssigkeit entstanden ist, auf der sich ein klein wenig Schaum bildet. „Das ist koicha, dicker Tee, weil das Teepulver mit wenig Wasser angemischt wird und das Getränk so eine etwas zähflüssige Konsistenz hat“. Eine Schale wird hier für alle Gäste gereicht. Ehe man einen kleinen Schluck daraus trinkt, hält man, die Teeschale zur Stirn haltend, einen Augenblick inne, „ein stiller Dank an die Sonne, den Regen und die Menschen, die uns den Genuss des Tees erst möglich machen“. Als Abschluss rührt Ikuko einen dünneren Tee an, der mehr Wasser enthält. Nun haben die Gäste die Gelegenheit alle benützen Geräte in die Hand zu nehmen und die kunstvolle handwerkliche Arbeit zu bewundern. Die Teezeremonie neigt sich ihrem Ende zu. Vier Stunden und mehr kann es dauern, ehe die Gäste das Teehaus wieder verlassen. Doch das spielt keine Rolle. Zeit ist beim chadô Nebensache. Die Kunst liegt im Loslassen. Ein lebenslanger Übungsweg, der den Geist der Zen-Lehre in den Alltag des Lebens tragen soll. Die „heitere Ruhe der Seele“ nannte sie Okakura, bestimmt von Gelassenheit, Freude und Glück.

Im Teeladen Cha-No-Ma am Wiener Naschmarkt wird der köstliche grüne Tee nicht nur verkauft, sondern auch nach japanischer Zeremonie zubereitet. Neben neueren Kreationen wie Matcha Latte, Grüntee mit geschäumter Biosojamilch, werden japanische Snacks und japanische Süßigkeiten serviert.

Cha no Ma: 4, Faulmanngasse 7