Im Tal der Rosen

Welt der Frau

Foto: Stefan Knittel

Im Herzen Bulgariens wächst die weltberühmte Rosa damascena. Klein und unscheinbar ist sie, ein grüner Strauch mit rosa Tupfen. Wäre nicht dieser Duft, intensiv und fein zugleich, sie würde glatt übersehen. Und doch hat Rosa damascena das Tal zwischen Karlovo und Kazanlak weltberühmt gemacht. Die Parfümeure sind ganz heiß auf den Stoff, den sie hervorbringt: das Rosenöl. Es gilt als das beste weltweit.

Zwischen den üppigen Dornenranken greifen Aishes Hände nach den kleinen rosa Blüten. Die Finger umfassen die noch kaum aufgeblühten Knospen, zwicken sie ab und greifen dann zur nächsten. Rasch ist eine ganze Handvoll in der sackartigen Schürze verschwunden. Aishe ist 66, Rentnerin und seit 20 Jahren pflückt sie schon auf diesen Feldern. Auf das bisschen zusätzlichen Lohn ist sie dringend angewiesen: „Ich bin Diabetikerin und die Medizin ist hier sehr teuer“. Ihre Rente von 135 Lewa – rund 70 Euro – reicht da eben nicht aus. Heute hat Aishe Unterstützung, ihr Sohn Aleidin hilft beim Rosenpflücken. Der 35-Jährige arbeitet in der nahegelegenen Fabrik, seinen Urlaub verbringt er auf dem Rosenfeld. Ursprünglich stammt Familie Karajussuf, so wie viele hier, aus der Türkei, seit drei Generationen leben sie in den umliegenden Dörfern von Kazanlak.

Die Erntesaison im Tal der Rosen dauert nur kurze drei Wochen. Gemeinsam mit den anderen Pflückerinnen, leis- tet Aishe zwischen Ende Mai und Mitte Juni Akkordarbeit. Gegen vier Uhr morgens hievt sie sich auf das Fahrrad und macht sich auf den Weg zum Acker. Einen Bus gäbe es auch, der sammelt die Arbeiterinnen jeden Morgen aus den umliegenden Dörfern ein, um sie zur Arbeit zu bringen. „Ich bin aber lieber unabhängig“, sagt Aishe. Aishe muss früh pflücken und das schnell. Denn die Pflücker hier werden nicht nach Stunden bezahlt, sondern nach Gewicht. 60 Stotinki, umgerechnet 30 Cent bekommt sie für jedes Kilogramm Blüten, das sie abliefert. Die Rosen werden reihenweise gepflanzt und zu Beginn der Saison zugeteilt. Für einen Hektar Rosen werden vierzig Pflücker benötigt. Ob es manchmal auch Streit um die Pflanzen gebe? Aishe blinzelt gegen die tiefstehende Morgensonne. „Nur ganz selten, nichts Ernstes, schließlich sind wir doch alle Nachbarn.“

Es ist beschwerlich die Knospen von den Sträuchern zu pflücken. Dicke Hand- schuhe, Stiefel und die Schürze vorm Bauch sollen vor den Dornen schützen. Wenn die ersten Sonnenstrahlen hinter den Bergen des Balkangebirges hervorkommen, steht Aishe bereits seit drei Stunden auf dem Feld. „Frühmorgens zu pflücken bringt das meiste Geld“, sagt sie. Wenn der Tau die Blüten noch benetzt, sind sie nicht nur schwerer, ihr Ölgehalt ist dann am Höchsten. Um elf Uhr morgens hat sich davon die Hälfte bereits verflüchtigt.

Vergänglicher Duft

„Was ist hier eigentlich los?“ Hinter dem Gewirr aus Grün und Rosa kommt Leila Emins braungebranntes Gesicht zum Vorschein. „Wenn du fotografiert werden willst, musst du es nur sagen“, ruft Aleidin ihr zu und lacht. „Dann hätte ich mir aber etwas Besseres anziehen müssen“, sagt Leila und zündet sich rasch eine Zigarette an. „Ständig werden die Preise erhöht“, klagt sie. Die Zigaretten sind schon wieder um zehn Stotinki teurer geworden. Nur unsere Löhne, die bleiben immer gleich.“ Dabei gehört Leila zu den wenigen Frauen, die ganzjährig von der Kooperative beschäftigt werden. Vor drei Jahren hat sie hier angefangen, davor musste die 48-Jährige auf ihre kleine Enkelin aufpassen. „Meine Tochter hat zwar Arbeit in Deutschland, aber um das Kind kann sie sich dort nicht kümmern.“

Während der Erntesaison steht Leila, ebenso wie die anderen Frauen auf dem Feld und pflückt die Knospen von den Sträuchern. Danach ackert sie den Boden um und jätet Unkraut. Hier im Rosental setzt man noch auf Handarbeit, denn die grobe Maschinerie bekommt den Rosenbüschen nicht. „Schlimm ist es im Sommer, wenn die Hitze uns auf den Kopf brennt und die Erde trocken ist.“ Leila entleert die volle Schürze in den weißen Plastik sack. Der Duft, lieblich süß, erinnert ein klein wenig an Honig. Leilas Finger sind ganz klebrig von dem Rosenharz. „Schau“, sagt sie und fasst an die taufrische Rosenknospe. Ich pflücke nur die Blüten der gerade aufblühenden Knospen. Wenn sie noch geschlossen sind, dann geben sie nichts her. Je mehr Blütenblätter entfaltet sind, desto höher ist ihr Ölgehalt. Man muss den Duft ein- fangen. Wenn die Rosen ihn später am Tag verströmt haben, sind sie nichts mehr wert.“

Berühmte Rose

Das Tal der Rosen, Rosova Dolina, zwischen Karlovo und Kazanlak am Südwesthang des Balkangebirges, ist das Hauptanbaugebiet der Ölrose. Sandiger Boden, der Wechsel von viel Sonne und reichlich Niederschlägen, dazu das milde Klima dieser Region; hier herrschen die idealen Bedingungen für Rosa damascena. Vor über dreihundert Jahren wurde in dieser Region zum er- sten Mal Rosenöl produziert; damals brachten die Osmanischen Herrscher die Sorte Rosa damascena von Syrien auf die Balkanhalbinsel. Mit der steigenden Nachfrage der Parfümindustrie, erlebte die Rosenölproduktion Ende des 18. Jahrhunderts einen ersten Aufschwung. Man versuchte Rosa damascena im ganzen Land anzubauen, aber vergeblich. Nur hier im Rosental herrschen die geeigneten klimatischen Bedingungen für die Pflanzen. Brachte die Rosenölproduktion während des Sozialismus noch die begehrten Devisen ins Land, so schrumpfte die Anbaufläche nach der Wende und der großen Wirtschaftsdepression der Neun- ziger Jahre derart, dass Westeuropas Parfümindustrie über den Mangel an bulgarischem Rosenöl klagte. Doch mit den neuen, ungeklärten Eigentumsverhältnissen wollte niemand mehr investieren, und so verwaisten die kostbaren Felder. Als dann auch noch der andere große Arbeitgeber der Gegend, die Waffenfabrik Arsenal in Kazanlak, zusperren musste, standen Tausende Menschen vor dem Nichts. Seit einigen Jahren geht es wieder bergauf, jetzt liegt die Rosenöl-Produktion weitgehend in privaten Händen. Seit 2000 erhält Bulgarien zudem Geld aus dem EU-Programm SAPARD. Geld, mit dem das staatliche Roseninstitut in Kanzanlak immer ertragreichere Rosen züchtet. Heute sind die Anbauflächen deutlich angewachsen und mit einer Produktion von etwa 1,5 Tonnen Rosenöl pro Jahr liefern die bulgarischen Destillateure etwa 70 Prozent der Weltproduktion an Rosenöl.

Pflücken im Akkord

Um kurz vor Neun taucht Grisha auf dem Acker auf, um, wie er sagt, nach dem Rechten zu sehen. Der groß gewachsene Mann mit dem weißen Hemd in bulgarischer Nationaltracht und dem runden, frisch rasierten Gesicht, hat heute nur wenig Zeit. Für Mittag hat sich eine japanische Reisegruppe angekündigt, die er durch die Destillerie von Hristo Stojanov führen wird. Seinen Nachnamen verrät der wortkarge Grisha ebenso wenig wie sein Alter. Nur soviel: bis zu seiner Rente war er in Kazanlak beschäftigt, seit neun Jahren genießt er die Arbeit an der frischen Luft. „Vor 13 Jahren wurde die Destillerie um ein Museum erweitert“, erzählt er. „Jetzt müssen die Kosten dafür wieder rein, deshalb setzen wir auch vermehrt auf Tourismus, der bringt gutes Geld. 15.000 Touristen waren es im vergangenen Jahr und heuer erwarten wir einige mehr.“ Neben der Abwicklung der Reisegruppen, ist Grisha für die Bewirtschaftung der Rosenfelder von Hristo Stojanov zuständig. „Anfang März, wenn es noch ruhig ist, teile ich die Pflücker ein und kontrolliere dann immer wieder, dass sie die Arbeit auch gewissenhaft verrichten.“ Noch einmal lässt Grisha, der immer noch etwas vom sozialistischen Flair verströmt, seinen strengen Blick über das Feld streifen, dann verschwindet sein alter Lada in einer Wolke aus Erde und Staub.

Aishe, Aleidin und Leila schleifen inzwischen die vollen Säcke an den Rand des Rosenackers, wo ein alter Traktor sie nach und nach einsammelt und in die Destillerie von Skobelevo bringt. Dort wird die Ladung bereits erwartet. „Am Höhepunkt der Ernte kommen stündlich neue Ladungen zu uns. Wir verarbeiten dann 24 Stunden am Tag Rosenblätter“, sagt Destillateur Nasko während er die Plastiksäcke wiegt und dann eine Quittung auf dem vergilbten Block ausstellt. Einen nach dem anderen greifen sich die Männer die Säcke mit den frischen, duftenden Blüten und schütteln den Inhalt in die Luke des großen Kupferkessels, dem die vierfache Menge Quellwasser beige- mengt wird. „Die Methode der Rosenölgewinnung ist seit Jahrhunderten gleich geblieben“, sagt Nasko.

Flüssiges Gold

Sobald der Kessel verschlossen ist, wird das Rosen-Wasser-Gemisch mit Wasser- dampf von unten langsam erhitzt um das Rosenwasser, beziehungsweise Rosenöl herauszudestillieren. Zwei Stunden lang werden die Rosen gekocht, dabei steigt der Wasserdampf auf und trennt die ätherischen Moleküle von den Blüten. In einem weiteren Arbeitsschritt wird das Destillat gekühlt, Öl und Wasser wieder getrennt. Das Öl, das im ersten Destillationsprozess gewonnen wird, ist die konzentrierteste und hochwertigste Form des ätherischen Rosenöls. Anschließend wird das Wasser noch ein zweites Mal destilliert, um auch den letzten Rest an wertvollem Öl zu gewinnen.

Hristo Stojanov 24 und Juniorchef der Destillerie in Skobelevo bewahrt das Rosenöl in einem Kellerraum auf. Normalerweise dürfen Außenstehende diesen Raum gar nicht betreten. Heute mache er aber eine Ausnahme. Ein großer Glaszylinder fängt das Öl auf, das wie warmer Honig aus dem Kessel fließt. Der Geruch, stechend scharf, brennt in den Augen und reizt mit seiner Menge an Aromastoffen – über 360! – die Nase. „Hier sammeln wir das Rosenöl in Gefäßen, die dann nach Sofia kommen. Dort werden sie im Labor „Bulgarische Rose“ auf ihre Qualität geprüft und anschließend in Tresoren zwischengelagert.“ Im 24-Stunden-Rhythmus werden in der Destillerie bis zu 20 Tonnen Rosenblüten verarbeitet, 3,5 Tonnen Blüten benötigt man für einen Kilogramm Öl; 5.000 Euro zahlt der Weltmarkt dafür.

Aishe stopft die letzten Blüten in den Jutesack und wuchtet ihn auf die Waage unter dem großen Nussbaum. Die Sonne brennt, auf ihrer Stirn bilden sich Schweißperlen; Schichtende für heute. An guten Tagen schafft Aishe bis zu 90 Kilogramm Blüten. Heute sind es nur 20 Kilogramm à 60 Stotinki zwischen 4 Uhr 30 und 10 Uhr 30 – das macht 12 Euro als kleine Aufbesserung für ihre postsozialistische Rente.