„Zum Musizieren gehört immer Demut“

Frisch gebackener 40-Jähriger: Renaud Capuçon (Foto: Darmigny)

Frisch gebackener 40-Jähriger: Renaud Capuçon (Foto: Darmigny)

Vor 60 Jahren, im Jänner 1956, wurde in Salzburg die Mozartwoche ins Leben gerufen – seither wird rund um den Geburtstag des Genius Loci am 27. Jänner einer besonderen musikalischen Vielfalt gefrönt. In Salzburg lässt sich Mozart Jahr für Jahr immer wieder neu hören, in aufregenden musikalischen Dialogen und aus unterschiedlichen Perspektiven. 2016 dreht sich beim zehntätigen Traditionsfestival alles rund um den Dreiklang Mozart, Mendelsohn und Henri Dutilleux. Im Mittelpunkt stehen dabei die großen Chor- und Orchesterwerke Mozarts und Mendelssohns. So werden alle großen Sinfonien von Mendelsohn zu hören sein, dazu noch beide Klavierkonzerte, Kammermusikwerke, das Oratorium „Elias“ mit der Cremerata Salzburg unter Pablo Heras-Casado (26.1) oder die Psalmvertonung „Wie der Hirsch schreit“ mit den Wiener Philharmonikern (30.1). Eröffnet wird der winterliche Festivalreigen am 22. Jänner im Großen Festspielhaus, wenn der Monteverdi Choir und die English Baroque Soloists unter Sir Eliot Gardiner Mozarts Requiem und seine c-Moll-Messe zur Aufführung bringen.

Neben den großen Orchesterkonzerten, darf man sich auf thematisch fein ausbalancierte Kammer- und Solistenkonzerte freuen. Am Klavier musizieren Mitsuko Utchida, Fazil Say und Radu Lupu Mozarts Klavierkonzerte (25., 28. & 31.1) während Katia und Marielle Labèque sich den Konzerten für zwei Klaviere von Mozart und Mendelssohn widmen (22.1). Zu den kammermusikalischen Höhepunkten zählen neben den Konzerten mit dem Quatuor Ebène und dem Hagen Quartett (28. & 31.1) die Auftritte von Nicolas Altstaedt, der mit Anna Prohaska, Vilde Frang, Nils Mönkemeyer und Alexander Lonquich musikalische Entdeckungsreisen von Mozart über Mendelssohn und Beethoven bis hin zu Henri Dutilleux und Aribert Reinmann unternimmt (24.1).

„Wechselnde Sichtweisen auf Mozarts zeitlose Kunst eröffnen neue Zugänge und frische Denkanstöße“, lautet das Motto der Stiftung Mozarteum Salzburg. So sind die Konzerte stets vom Aufbruch ins Neue geprägt. 2016 wird Henri Dutilleux, einem der bedeutendsten französischen Komponisten, der am 22. Jänner 2016 einhundert Jahre alt geworden wäre, ein musikalisches Porträt gewidmet. Den Auftakt macht Renaud Capuçon, der am 27. Jänner nicht nur Mozarts 260. Geburtstag, sondern auch seinen Vierzigsten feiern wird. Gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern und Tugan Sokhiev interpretiert er das Violinkonzert „L´arbre des songes“ von Henri Dutilleux. Bereits 2000 spielte Renaud Capuçon das Werk mit Myung-Whun Chung ein, der Komponist selbst war damals bei den Aufnahmen anwesend. „Dutilleux war ein sehr bescheidener, zugleich aber außerordentlich feinsinniger Mann, und das spiegelt sich in seiner Musik wider. Sie ist raffiniert und unglaublich poetisch. Dutilleuxs Klangsprache ist unverwechselbar, Sie brauchen nur ein paar Takte zu hören und erkennen sofort seinen musikalische Handschrift wieder“.

Nur wenige Tage später, am 29. und 30. Jänner, trifft Capuçon auf den legendären Pianisten Menahem Pressler, um sich den Mozartschen Violinsonaten zu widmen. Über fünfzig Jahre Altersunterschied liegen zwischen den beiden Musikern. Für Capuçon sind die Auftritte die Erfüllung eines lang gehegten Traumes. „Wir mussten in den vergangenen Jahren die geplanten Konzerte immer wieder aus gesundheitlichen oder terminlichen Gründen absagen. Umso mehr freue ich mich darauf, jetzt endlich mit einer lebenden Ikone der Kammermusik musizieren zu dürfen. Ich bin zwar Solist geworden, aber ich habe immer auch das Bedürfnis, Musik mit anderen zu teilen. Kammermusik ist das reinste Glück“.

Neugierde, Experimentierfreude und Offenheit sind Renaud Capuçons Antriebskraft, im musikalischen Dialog der Generationen sieht der Geiger seine Verantwortung und anspruchsvolle Aufgabe. Vor zwei Jahren gründete er gemeinsam mit drei jungen, hochbegabten Musikern das Capuçon-Quartett, im Jänner begeben sich die vier im Gläsernen Saal des Musikvereins auf die Spuren von Renaud Capuçons großem Vorbild, den Geiger Adolf Busch. „Wir wollen an die Programme erinnern, die das legendäre Busch-Quartetts in den 1930er Jahren in der Londoner Wigmore Hall gespielt hat. In Wien stellen wir Beethovens cis-Moll-Quartett op. 131 dem Streichquartett in G-Dur von Franz Schubert gegenüber“.

Das Streichquartett op.131 cis-Moll ist Beethovens vorletztes vollendetes Werk, ein genialer Wurf und ein Stück der Extreme, das alle bis dahin zur Verfügung stehenden Kompositionstechniken vereinigt und einen gleichzeitig weit in die Zukunft blicken lässt. Beethoven schrieb seine großartigen späten Streichquartette in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren. Etwa gleichzeitig komponierte Schubert seine letzten drei Quartette. Nur zehn Tage benötigte er für die Niederschrift des monumentalen Streichquartetts G-Dur mit geradezu symphonischen Dimensionen. „Diese beiden Werke zu spielen ist so, als würde man den Mount Everest erklimmen“, sagt Renaud Capuçon. „Umso mehr freue ich mich, der Herausforderung mit meinen jungen Mitspielern stellen zu dürfen. Als Musiker möchte ich immer in Bewegung bleiben. Das betrifft natürlich das Repertoire, aber auch meine Partner auf dem Podium. In der Musik spielt der Altersunterschied keine Rolle. Außer, dass man sehr viel voneinander lernen kann. Egal ob mit Menahem Pressler oder mit Guillaume Chilemme, Adrien De Marca und Edgar Moreau, zum Musizieren gehört immer Demut. Das habe ich von Dutilleux gelernt“.