Auf der Suche nach dem Wiener Klang

Die Bühne, 9/2015

Wo alles begann: Yutaka Sado vor dem Wiener Musikverein

Wo alles begann: Yutaka Sado vor dem Wiener Musikverein

Sechs Jahren lang prägte der junge Kolumbianer Andrés Orozco-Estrada als Chefdirigent die musikalische Geschicke der Tonkünstler, nun stehen alle Zeichen auf Veränderung: Mit dem Ende der Saison 2014/15 übernahm Yutaka Sado das Amt des Chefdirigenten. Seine Vorliebe für die österreichische Hauptstadt hatte der Yutaka Sado bereits anlässlich der Programmvorstellung erklärt: „Wien ist als Stadt meine allererste Wahl. Mozart, Beethoven, Brahms, Mahler, Strauss – alle meine Lieblingskomponisten waren hier. Und natürlich werden wir ihre Werke aufführen, denn was diese Komponisten uns hinterließen, ist fantastische und geniale Musik.“

In seiner Heimat Japan ist der 54-jährige Sado das, was man einen Star nennt: nach dem verheerenden Erdbeben in Kobe 1995, gründete er das Hyogo Performing Arts Centre (HPAC), um so am Wiederaufbau mitzuhelfen – mit großem Erfolg: heute zählt das HPAC mit drei Konzertsälen und 70.000 Abonnenten zu den bedeutendsten Opern- und Konzerthäusern in der Region. In Osaka veranstaltet Yutaka Sado seit 16 Jahren ein Konzert, bei dem er Beethovens Neunte Symphonie mit einem Chor von bis zu 10.000 Laien dirigiert und im Fernsehen hat er jeden Sonntagvormittag eine eigene Show, in der er seinen Landsleuten die klassische Musik näherbringt. 2013 stand Yutaka Sado im Rahmen einer Konzertreihe im Musikverein Wien und im Festspielhaus St. Pölten erstmals am Pult der Tonkünstler, gespielt wurden damals Bernsteins erste und Schostakowitschs fünfte Sinfonie, – eine herausragende Begegnung und der entscheidende Impuls ihn als Nachfolger Orozco-Estradas zu bestellen. „Die Chemie hat von Anfang an gestimmt“, erinnert sich Sado. „Das Schönste an meinem Beruf ist, dass ich meine Erlebnisse mit den Musikern teilen kann. Dieses Geben und Nehmen hat etwas Magisches, das auf gegenseitiges Vertrauen beruht. Manchmal muss man sich dieses Vertrauen erst erarbeiten, bei uns war es sofort da“.

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Die Tonkünstler in Grafenegg, einer ihrer drei Residenzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Yutaka Sado, in Kyoto geboren, war schon als Kind ein Klassikfan, sammelte Schallplatten mit Musik von Richard Strauss und Gustav Mahler, bekam zuerst Klavier- und später Flötenunterricht, spielte in einem Bläserensemble und sang im Knabenchor. „Gemeinsam mit anderen zu musizieren war wunderbar. So habe ich gelernt, was der Begriff ‚Ensemble’ bedeutet“. Mit seinen Eltern geht Yutaka Sado viel und gerne ins Konzert; er ist fasziniert von der Energie, die von der Musik ausgeht, von ihrer Kraft und ihrer Fähigkeit, Menschen zu verbinden. Mit 16 Jahren hat Yutaka Sado sein offizielles Debüt als Dirigent am Pult des Schulorchesters, im Sommer 1987 erhält er ein zweimonatiges Stipendium beim Musikfestival von Tanglewood, wo er nicht nur Seiji Osawa sondern auch Leonard Bernstein kennenlernt. Ein Jahr später verlässt Sado abermals seine Heimat, dieses Mal in Richtung Wien, wo Bernstein gerade mit den Wiener Philharmonikern probt. „Bernstein war eine ganz große Persönlichkeit. Als sein Assistent habe ich gelernt, wie wichtig es ist, als Dirigent, Musiker und Mensch zu wachsen“. Vier Jahre bleibt Sado in Wien, gewinnt den Internationalen Dirigierwettbewerb in Besançon und bekommt wenig später sein erstes Engagement in Frankreich, wo er seither einer der wichtigsten Gastdirigenten unter anderem des Orchestre de Paris und des Orchestre Philharmonique ist.

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Mit den Tonkünstlern will sich Yutaka Sado in den nächsten drei Jahren vor allem auf die Wiener Klassik konzentrieren – Haydn, Mozart und Beethoven – und sich Brahms, Bruckner, Mahler und Strauss widmen. „Ich möchte mich näher mit der Tradition des Wiener Klangs beschäftigen“, sagt Yutaka Sado. „Hier geht es natürlich um spezifische Bauart mancher Instrumente, etwa jene der Oboen oder Hörner, ebenso wie die damit verbundene Flexibilität oder die Art der Phrasierung. Das macht diesen Klangkörper so einzigartig“. Neben den großen Klassikern und Romantikern finden auch zeitgenössische Komponisten, unter ihnen Thomas Adés, Toshio Hosokawa, Krzysztof Penderecki und Brett Dean, in der kommenden Saison wieder ihren festen Platz im Programm; mit „Circle Map“ der finnischen Komponistin Kaija Saariaho findet am 26. Februar 2016 gar eine österreichische Erstaufführung in Grafenegg statt.

Im Mittelpunkt der Saison 2015/16 stehen traditionellerweise die zwölf Abonnement-Konzerte, fünf davon wird der neue Chefdirigent persönlich dirigieren. Gleich zum Auftakt steht im Wiener Musikverein der „Urvater der Sinfonie“, Joseph Haydn auf dem Programm. Mit seiner 6. Sinfonie „Le Matin“ (Der Morgen) führte sich Haydn am Hof des Fürsten Esterházy ein. Das Werk entstand 1761, zusammen mit den Sinfonien Nummer 7 „Le midi“ (Der Mittag) und Nummer 8 „Le soir“ (Der Abend). Es ist der einzige zusammenhängende Zyklus innerhalb der haydnschen Sinfonien und wurde als „Die Tageszeiten“ bekannt. Den internationalen Solistenreigen eröffnet am 1. Oktober Maria João Pires mit Mozarts Klavierkonzert G-Dur KV 453, mit Johannes Brahms‘ vierter Sinfonie beschließt Yutaka Sado sein offizielles Antrittskonzert. Im neuen Jahr führt Yutaka Sado seinen „Tageszeiten“-Zyklus mit „Le midi“ fort (Jänner 2016), „Le soir“ erklingt im Frühling, zusammen mit dem e-Moll-Konzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy (Solist: Christian Tetzlaff) und Richard Strauss’ Tondichtung „Ein Heldenleben“.

Maria Joao Pires eröffnet am 1. Oktober den internationalen Solistenreigen. (Foto: Felix Broede/DGG)

Maria Joao Pires eröffnet am 1. Oktober den internationalen Solistenreigen. (Foto: Felix Broede/DGG)

Wieder ist es dem Orchester gelungen für ihre Sinfoniekonzerte neben namhaften Dirigenten wie Jun Märkl, Gilbert Varga oder Hugh Wolff und neuen Talenten wie der japanische Shooting-Star Kazuki Yamada, ausgezeichnete Solisten zu engagieren. So gestaltet die japanische Pianistin Momo Kodama einen Konzertabend mit Werken von Toshio Hosokawa, Mozart und Brahms (März 2016), Xavier de Maistre spielt die Österreichische Erstaufführung von Krzysztof Pendereckis Konzert für Harfe und Orchester (April 2016) und Albrecht Mayer musiziert Richard Strauss’ spätes Oboenkonzert – Musik in höchster Vollendung, die, so Mayer, „zum Schwierigsten gehört, was es im Repertoire für einen Oboisten gibt“ (Oktober 2015). „Very British“ sind die Tonkünstler im Juni unterwegs. Die deutsch-japanischen Geigerin Arabella Steinbacher widmet sich Benjamin Brittens virtuosem Violinkonzert, ehe der junge finnische Stardirigent Pietari Inkinen das Publikum mit Gustav Holsts Orchestersuite „The Planets“ auf eine Reise zu den Sternen mitnimmt.

Einen festen Platz im Klassikreigen der Tonkünstler haben die Festtagskonzerte, vom Weihnachtskonzert über die Silvester- und Neujahrskonzerte in Grafenegg, Wien und St- Pölten bis hin zur Sommernachtsgala im Grafenegger Wolkenturm; schön schräg, authentisch, pur und unverfälscht klingen die Plugged-In-Konzerte der Niederösterreicher. Seit mittlerweile neun Jahren mischt das Orchester einmal im Festspielhaus St. Pölten und einmal im Wiener Musikverein das gängige Repertoire mit unkonventionellen musikalischen Begegnungen. Hier finden Jazz, Rock und Pop, Folk aus aller Welt, klassische Orchestermusik und Beiträge zeitgenössischer Komponisten zueinander. „Benjamin Schmid plays Symphonic Jazz“ lautet der erste Abend der dreiteiligen Konzertreihe mit Werken von Friedrich Gulda und Duke Ellington und der Uraufführung von Florian Willeitner Violinkonzert (Dezember 2015), zu Beginn des neuen Jahres gestalten Yutaka Sado und der Pianist Yosuke Yamashita eine Hommage an die britische Kultband „Emerson, Lake & Palmer“ (Februar 2015) und schließlich begrüßt die vielfach preisgekrönte amerikanische Jazzsängerin Dee Dee Bridgewater den Frühling mit Blues und Soul, Gershwin und Weill (März & April 2016).

Benjamin Schmid (Foto: Julia Wesely)

Benjamin Schmid (Foto: Julia Wesely)

Ein Vierteljahrhundert nach seinem ersten Österreich-Aufenthalt, damals noch als Student, freut sich Yutaka Sado nun als Chef der Tonkünstler nach Wien zurückzukehren, wo seine Karriere in Europa einst begann. Hier will er die Niederösterreicher auch „als Spitzenorchester auf den internationalen Konzertbühnen etablieren“. 2016 steht ganz im Zeichen Japans: im Rahmen einer dreiwöchigen Tournee gastiert Sado mit dem Orchester in den wichtigsten Metropolen des Landes, eine Folgetour ist bereits in Planung. In diesem Sinne: lasst die Spiele beginnen!

Saisoneröffnungskonzert: Sado & Pires
Donnerstag 1. Oktober & Sonntag, 4. Oktober 2015
Musikverein Wien