Französin im Frack

Laurence Equilbey (Foto: Naive Records)

Laurence Equilbey (Foto: Naive Records)

Es kommt nicht oft vor, dass man ein Interview mit einer Dirigentin führen darf. Und wenn es nach dem russischen Dirigenten Vasily Petrenko geht, dann soll das ruhig auch in Zukunft so bleiben. In einem Gespräch mit der norwegischen Tageszeitung „Aftenposten“ erklärte der Chefdirigent des Royal Liverpool Philharmonic und der Oslo Philharmonic, dass Frauen nicht vor ein Orchester gehören. Nicht nur, weil sich Job und Familie so schwer miteinander vereinbaren ließen. Wenn ein hübsches Mädchen am Pult steht, könne das die Musiker auf andere Gedanken bringen, so Petrenko. Frauen versprühten einfach zu viel sexuelle Energie, was einen „größeren Fokus auf die Musik“ verhindere. Auch wenn Petrenko mittlerweile aufgrund des Gegenwinds zurückrudern musste – einer Frau am Pult haftet selbst im Jahr 2015 etwas Exotisches an. Der Dirigentenberuf ist einer der letzten Bastionen männlicher Vorherrschaft.

Laurence Euqilbey erstaunt und ärgert es, dass das Geschlecht immer noch ein Thema ist. „Vor 10 Jahren dachte ich, das würde sich bis heute geändert haben.“ Hat es aber nicht. Die Zahl der international erfolgreichen Dirigentinnen lässt sich an einer Hand abzählen: neben Simone Young, Susanna Mälkki und Marin Alsop sind das noch Anu Tali und eben Laurence Equilbey. „Ich weiß, dass ich als Frau besonders kritisch beäugt werde, auch wenn für die wirklich guten Musiker im Orchester nur zählt, was der Mensch vorne am Pult leistet.“ Wenn man jung ist, denkt man über solche Dinge ohnehin nicht nach, sagt Laurence Equilbey. „Ich wusste schon früh, dass ich Musikerin werden möchte. Meine Urgroßeltern waren Geigen- und Klavierbauer und bei uns zu Hause wurde viel Musik gehört“. Equilbey studiert zunächst Klavier und Querflöte, bald kommen die Viola und das Singen dazu. „Die Idee mit dem Dirigieren ist erst später gekommen, unter anderem, weil ich mir eine umfassendere musikalische Ausbildung gewünscht habe. Als Dirigentin beschäftige ich mich nicht nur mit den technischen, formalen und harmonischen Aspekten eines Werks, sondern auch mit den historischen und kulturellen Hintergründen seiner Entstehung. Das hat mich immer schon fasziniert“.

Heute zählt Laurence Euqilbey zu den wenigen Frauen, die sich in diesem Beruf durchsetzen konnten. Sie arbeitete mit dem Orchestre de Lyon, dem Warsaw und dem Brussels Philharmonic, sowie dem MDR Sinfonieorchester Leipzig zusammen, ebenso wie mit der Akademie für alte Musik Berlin, dem Concerto Köln, der Camerata Salzburg, dem Orchestra of the Age of Enlightenment und dem Mozarteumorchester Salzburg. Nach ihren Studien in Paris, Stockholm und Wien, wo sie mit Nicolaus Harnoncourt zusammenarbeitete, gründete Equilbey nach ihrer Rückkehr in Frankreich den Kammerchor „Accentus“ – da war sie gerade einmal 25 Jahre alt. Heute zählt die Formation zu den besten weltweit und wurde für ihre Aufnahmen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2012 bekam die 52-jährige Dirigentin die seltene Gelegenheit ein neues Orchester zu gründen. „Die Pariser Stadtverwaltung lässt auf der Île Seguin, dem ehemaligen Renault-Standort im Westen der Stadt, gerade eine Kulturinsel entstehen, die auch eine „Cité musicale“, eine Musikstadt, mit einem Konzertsaal beherbergen soll“, erzählt Laurence Euqilbey. „Ich habe vorgeschlagen, ein Ensemble auf die Beine zu stellen, das hier ab 2016 die Residenz übernehmen soll und wurde mit der Zusammenstellung beauftragt“. Ihr Originalklangensemble hat sie „Insula Orchestra“ genannt, nach einer Region im Gehirn, die für empathisches Empfinden zuständig ist.

Der Repertoireschwerpunkt des Ensembles, für das die Dirigentin ausgezeichnete Musiker aus ganz Europa rekrutiert hat – von erfahrenen Orchestermusikern bis hin zu begabten jungen Hochschul-Absolventen – liegt in der Klassik und der Frühromantik. Equilbey nennt diese Musik ihren „geheimen Garten“. Viel Weber will sie dirigieren. Viel Schubert, Schumann und Mendelssohn. Und natürlich Mozart und Haydn. Getrieben wird Laurence Equilbey von ihrer Neugierde und Entdeckerfreude. „Es gibt aus dieser Zeit viel Repertoire, das zu Unrecht vernachlässigt wurde“. Schuberts große heroisch-romantische Oper „Alfonso und Estrella“ zum Beispiel oder das Singspiel „Des Teufels Luftschloss“. In Zukunft wünscht sich Equilbey noch mehr mit bildenden Künstlern, Regisseuren und Choreographen zusammenzuarbeiten. „Wir brauchen unbedingt neue, innovative Formate, sonst kommt uns irgendwann das Publikum abhanden“. In der Île Seguin findet Laurence Equilbey dafür die idealen Rahmenbedingungen. Neben dem „klassischen“ Konzertbetrieb will sie auch „Flash-Konzerte“, Opern und szenische Oratorien programmieren. „Musik ist auch Spiel, im besten Sinne des Wortes. Leider vergessen wir das oft. Ich versuche, es mir immer wieder in Erinnerung zu rufen“.

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Sandrine Piau (Sopran), Sara Mingardo (Alt) Werner Güra (Tenor), Christopher Purves (Bass), Insula orchestra, accentus, Laurence Equilbey (Musikalische Leitung)