Friss oder stirb

Welt der Frau

One third  - a project on food waste

Erdbeere “Elsanta” (Foto: Klaus Pichler)
Produktionsort: San Giovanni Lupatoto, Verona, Italien
Produktionsart: Foliengewächshaus; Transportweg: 741 km; Transportart: LKW
CO2- Bilanz: 0,35 kg; Wasserbedarf: 348 l
Preis: 7,96 € / kg

Diese Zahlen sind eine Verhöhnung. Laut einer UNO-Studie aus dem Jahr 2011 wird im Durchschnitt ein Drittel der gesamten Lebensmittelproduktion weggeworfen. Das sind unvorstellbare 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel. In Österreich untersuchte die Wiener Wissenschaftlerin Felicitas Schneider die Filiale eines österreichischen Diskonters: täglich landen dort 45 Kilo Lebensmittel im Müll.

Essen ist in Europa mittlerweile so billig, dass die Haushalte nicht nur Speisereste entsorgen, sondern auch frische Produkte. Ein österreichischer Durchschnittshaushalt wirft jährlich rund 100 Kilo an essbaren Lebensmitteln in die Tonne – Nahrung im Wert von 400 Euro. Man kennt die Bilder und sei es nur vom Wegschauen: riesige Müllberge an verrottender Nahrung. Futter für die Biogasanlage.

Der Fotograf Klaus Pichler hat einen eigenen Weg gefunden, die gewaltige Dimension der Lebensmittelverschwendung aufzuzeigen. In der Fotoserie „One Third“ lässt er Essen ganz bewusst verrotten, um es dann in den verschiedenen Stadien des Zerfalls mit seiner Kamera einzufangen – in den eigenen vier Wänden. „Mit den verrottenden Lebensmitteln zu koexistieren und sich dem Ekel zu stellen war ein essentieller Bestandteil des Projekts“, sagt Klaus Pichler, in dessen Wohnung neun Monate lang Käse, Kekse, Zitronen, rohe Hühner, ein ganzen Oktopus, Brot und Eier vor sich hin faulten.

Eine gewollte Provokation, die aufrütteln und zum Nachdenken anregen soll. Was ist uns unser Essen noch Wert? Woher kommen die Nahrungsmittel und unter welchen Umständen wurden sie produziert? Wo findet die Verschwendung statt? Und wer ist dafür verantwortlich? Klaus Pichler hat nicht nur fotografiert, sondern auch akribisch recherchiert. Das Ergebnis ist haarsträubend: Je mehr wir wegwerfen, desto mehr Menschen verhungern. Der arme Süden produziert für den reichen Norden.

Armut, Korruption und mangelnde Ressourcen in den Ländern der Dritten Welt sind ein gefundenes Fressen für die globalen Lebensmittelproduzenten. Die Rechnung ist simpel: Je reicher das Land, desto größer das Überangebot in Supermärkten und Restaurants. In den USA etwa, beträgt der Überschuss bis zu 200%. Nicht nur die Industrie, sondern auch der Endverbraucher ist für die Lebensmittelmüllberge verantwortlich. „Der Großteil der Konsumenten will nur Topware, niemand möchte das kaufen, was über dem so genannten Mindesthaltbarkeitsdatum liegt“, sagt Klaus Pichler. „Viele Nahrungsmittel werden bereits vor dem Ablauf weggeworfen, weil dem Verbraucher suggeriert wird, dass sie nicht mehr genießbar sind“.

Und genau hier setzt Klaus Pichler an: um den individuellen Aspekt der Lebensmittelverschwendung in den Mittelpunkt zu rücken, hat der Fotograf seine Serie mit haushaltsüblichen Mengen inszeniert. Die Zutaten dafür hat er wie jeder andere Konsument im Supermarkt gekauft, von lokalen Produkten bis zu exotischen Spezialitäten, um sie anschließend absichtlich verderben zu lassen. Dass sich darüber so mancher empören mag, nimmt Klaus Pichler bewusst in Kauf: „Ich veranschauliche die Nahrungsmittelverschwendung dadurch, dass ich das Thema absichtlich in das Zentrum des Blickes rücke“. Die schaurig-schönen Bilder sollen beim Betrachter Begeisterung und erst beim zweiten Hinsehen Abscheu auslösen.

Tatsächlich wirken die Fotografien auf den ersten Blick schön. Glatt poliert und auf schwarzem Hintergrund montiert, offenbart sich das Grauen erst bei genauerem Hinsehen: was hier so ansehnlich in Szene gesetzt wurde, ist in Wahrheit Müll. Die saftig tropfende Melone ebenso wie die weißpelzigen roten Rüben. Auch die Kartoffelpuffer sind alles andere als lecker: wie ein feines Netz breitet sich der grünliche Schimmel über dem Smiley aus. „Weil Nahrungsmittel keine Wertigkeit mehr haben, inszeniere ich die verdorbenen Objekte als Luxusgut, in edlem Porzellan, mit goldenem Besteck oder zwischen kleinen Bronzefiguren“, sagt Klaus Pichler. Um dem Nachdruck zu verleihen, ergänzt er seine Bilder mit detaillierten geografischen und ökologischen Informationen zum jeweiligen Produkt.

„Diese Welt lebt im Überfluss. In den Supermärkten wird die Vielfalt der ganzen Welt feilgeboten, schließlich muss der Handel satte Menschen hungrig machen“, sagt Klaus Pichler. Das Angebot ist verführerisch: exotische Früchte, Erdbeeren im Winter, seltene Fische und Meeresfrüchte, Bio-Babykarotten aus Tansania oder Rind aus Japan. Per Schiff und LKW werden sie in Kisten gepackt und zu uns gekarrt. Wir konsumieren gedankenlos Weintrauben aus dem 15.0000 Kilometer entfernten Südafrika. Unsere Ignoranz spielt der Produktvermarktung in die Hände.

Ein Blick hinter die Fassade offenbart die brutalen Auswirkungen des globalisierten Lebensmittelhandels: während bei uns das Brot verheizt wird, müssen die meisten afrikanischen Länder ihr Getreide importieren. Weizen wird an der Börse im selben Atemzug wie Gold gehandelt und die Spekulanten wissen, dass die weltweite Nachfrage immer größer wird. Bis 2050 soll die Weltbevölkerung 9 Milliarden Menschen zählen, allein in Afrika wird sich die Bevölkerung voraussichtlich von rund einer Milliarde auf etwa 3,6 Milliarden Menschen verdreifachen. Trotz der weltweit steigenden Nahrungsmittelpreise hält die Europäische Union an ihrem Ziel fest, mehr Kraftstoff aus Nutzpflanzen zu gewinnen. Wälder werden abgeholzt, um unsere Tiere weiden zu lassen. Auf einem Drittel der weltweiten Agrarflächen wird heute Viehfutter angebaut – Land, das den lokalen Kleinbauern fehlt. Den steigenden Fleischkonsum und die mit der Viehhaltung verbundene Umweltzerstörung lagert der Westen gerne in ferne Länder aus – nicht ohne Folgen: für die Herstellung eines einzigen Kilogramms Rindfleisch braucht man rund 15.000 Liter Wasser. Gleichzeitig haben weltweit 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

„Jede Entscheidung für ein bestimmtes Nahrungsmittel und die Art, dieses zuzubereiten, ist eine gesellschaftspolitische Entscheidung“. Immer noch verlangt der Handel nach standardisierten Nahrungsmitteln, auf der Suche nach der möglichst perfekten Ware. Was nicht der Norm entspricht, wird entsorgt. Dieser Überschuss ist vom Lebensmittelhandel bereits mitkalkuliert. Die Kosten für das Essen, das auf dem Müll landet, zahlen wir. Die Folgen für die globale Ernährungssicherheit sind verheerend: je mehr Essen verschwendet wird, desto höher liegen die weltweiten Lebensmittelpreise.  Fakt ist: unsere Ernährung füttert den Hunger der Dritten Welt.

Klaus Pichler lebt und arbeitet in Wien. Er mag den alltäglichen Wahnsinn von dem er sich gerne inspirieren lässt. Seine Bilder zeigen, was dem Auge oft verborgen bleibt. Manche Projekte bringen ihn an auch seine körperlichen Grenzen, wie die Fotoserie „One Third“.