“Selbstzweifel sind ein Ansporn um viel zu arbeiten”

Foto: Arnulf Rainer Museum / Christian Wind

Foto: Arnulf Rainer Museum / Christian Wind

Es ist nur ein kurzer Abstecher nach Baden: die Koffer sind bereits gepackt und in ein paar Tagen geht es nach Teneriffa. Auf der Sonneninsel, ganz im Süden, hat Arnulf Rainer sein Winterrefugium gewählt. Hier kann der Künstler auf der Terrasse malen, hier ist er auch viel mit der eigenen Kamera unterwegs. Am liebsten knipst er Landschaften mit Farbflecken, wo man nie ganz genau weiß, was es ist und wo es ist. Zur Eröffnung seiner Ausstellung „Pinselrausch“ im eigenen Museum kommt Arnulf Rainer in Begleitung seiner Frau Hannelore Dietz und der gemeinsamen Tochter Clara. Gut gelaunt, im legeren Leinensakko mit rot gepunktetem Seidenschal spaziert er zunächst durch die hohen Marmorsälen des klassizistischen Bades und inspiziert neugierig jeden Winkel der ehemaligen Badebecken und Umkleidekabinen.

Dicht gehängt zeigt Kurator Rudi Fuchs in Baden insgesamt 164 Arbeiten, Gemälde, Grafiken und 44 Blätter, quer durch alle Schaffensperioden – von den Übermalungen seiner künstlerischen Anfangsjahre über Rainers Hand- und Fingermalereien bis hin zu den jüngsten, ungewöhnlich farbintensiven Papierarbeiten und Zeichnungen, die, so Rudi Fuchs „frisch von der Küche kommen und gerade einmal zwei bis drei Wochen alt sind”. Im einstigen Frauenbad, diesem „schönen, großen Puppenhaus“ fand Rainers langjähriger Freund die idealen Voraussetzungen für die Ausstellung vor, die unter dem Titel „Übermaler“ bereits im Cobra Museum of Modern Art in Amstelveen zu sehen war und für Baden entsprechend adaptiert und ergänzt wurde. Der Maler selbst sieht seinen „Pinselrausch“ bei der Eröffnung im Oktober zum ersten Mal und eine gewisse Aufregung in den Augen des 86-Jährigen lässt sich nicht verbergen.

Herr Rainer, was empfinden Sie, wenn sie durch Ihre eigene Ausstellung gehen?

Ich bin immer sehr neugierig, was Kuratoren aus meinen Bildern machen. Rudi Fuchs sieht in meinen Bildern etwas, das mir selbst verborgen bleibt. Der Blick des Anderen ist wichtig.

Sie wurden in Baden geboren. Können Sie sich daran erinnern, wann Sie mit dem Malen begonnen haben?

Mit vier Jahren habe ich von meinen Eltern Kinderbücher bekommen, die zum Ausmalen waren. Ich habe stattdessen einfach drüber gekritzelt. Das Übermalen hat also schon damals begonnen. Später bin ich aufgrund meiner besonderen Begabung in die Eliteschule Napola (Nationalpolitische Erziehungsanstalt, Anm.) in Traiskirchen gekommen, wo man uns gezwungen hat, im NS-Stil zu malen. Das fand ich unerträglich und bin aus der Schule ausgetreten.

Foto: Arnulf Rainer Museum / Kollektiv Fischka

Foto: Arnulf Rainer Museum / Kollektiv Fischka

Kam ein anderer Beruf als das Malen jemals in Frage?

Ich war 15 als der Krieg zu Ende war. Alles war zerstört, es gab kaum Perspektiven und meine Eltern waren der Meinung, dass ich neben der Malerei auch ein zweites Standbein brauche. Also habe ich in Kärnten erst einmal die Baufachschule besucht und Hochbautechniker gelernt. Leider haben die mir dort die Liebe zur Architektur ordentlich ausgetrieben. Nach der Matura wollte ich damit nichts mehr zu tun haben und nur noch Malen.

Sie haben mit 17 Jahren Maria Lassnig kennengelernt. Eine prägende Begegnung…

Wir wurden verkuppelt! Ich war völlig unerfahren, sie zehn Jahre älter und sehr kompliziert. Lassnig hat mich weniger geprägt, wir haben uns viel mehr gegenseitig angeregt und gefordert. Meine Kunst hat mit der Lassnigs nichts zu tun – und umgekehrt.

Es hat in Ihrem sehr schaffensreichen Leben bisher sehr viele verschiedene Perioden gegeben: die „Blindmalerei“, die  „Automatische Malerei“, die „Hand- und Fingermalerei“. Sie haben sich mit der Kunst Geisteskranker befass und unter Drogen gemalt.

Künstlerische Perioden würde ich das nicht nennen. Ich habe immer wieder neue Herausforderungen gesucht. Daraus sind immer wieder neue Serien von Motiven entstanden.

Als „Übermaler“ sind Sie berühmt geworden, einer Art von Kunst, die aus einer materiellen Not heraus entstanden ist.

Mit Anfang 20 habe ich mir auf dem Flohmarkt alte Bilder gekauft, weil sie billiger waren, als neue Leinwände. So kam ich dazu, Sujets zu übermalen. Irgendwann hat sich ein künstlerischer Dialog daraus entwickelt.

Foto: Arnulf Rainer Museum / Kollektiv Fischka

Foto: Arnulf Rainer Museum / Kollektiv Fischka

Stellt der Akt des Übermalens eines Originals nicht auch einen Tabubruch dar?

Für andere vielleicht. Für mich steckt nichts Ideologisches dahinter. Ich habe ja auch meine eigenen Bilder übermalt. Es geht auch nicht – wie oft behauptet wurde – um die „Zerstörung“, sondern um die „Vervollkommnung“.

Das Prinzip des Übermalens hat in ihrem Werk weiterhin Bestand. Welche Sujets übermalen Sie heute? 

Schöne Frauenköpfe sind mir am liebsten. Meistens finde ich sie auf alten Postkarten, die ich anschließend bearbeite.

Ihr Kurator Rudi Fuchs behauptet, dass Sie keinen geraden Strich malen können…

Das ist ein Überbleibsel aus meiner bautechnischen Ausbildung. Ich hege eine gewisse Abscheu vor genauen Vertikalen oder Horizontalen. Außerdem bin ich beim Malen innerlich viel zu sehr erregt. Das lässt sich mit militärischer Geradheit schwer vereinbaren.

Sie haben großformatige Bilder geschaffen, aber auch kleine Papierarbeiten. Unterscheidet sich der emotionale Zugang bei den verschiedenen Formaten?

Die Wahl des Formats ist natürlich nichts Willkürliches. Leider kommen mit zunehmendem Alter auch die damit verbundenen Handicaps. Meine Wirbelsäule ist kaputt. Deswegen male ich auch keine großen Formate mehr. Heute liegen die Blätter  am Boden, ich habe einen Bambusstock, darauf ist vorne ein Pinsel montiert, und so male ich.

Foto: Arnulf Rainer Museum / Kollektiv Fischka

Foto: Arnulf Rainer Museum / Kollektiv Fischka

Kreuze und Kruzifikationen durchziehen ihr gesamtes künstlerisches Schaffen. Würden sie sich als religiösen Menschen bezeichnen?

Ich bin religiös, aber nicht im konfessionellen Sinn. Als Künstler sucht man immer ein Symbol, das einen herausfordert und fasziniert. Das Kreuz ist Teil unserer abendländischen Geschichte und unserer Kultur. Dazu kann man stehen, wie man will.

Sie haben auch eine Bibel illustriert. Glauben Sie an Gott?

Es ist schwierig, solch intime Fragen öffentlich zu beantworten. Sagen wir es so: es gibt eine Blickrichtung.

Wann empfinden Sie ein Werk als vollendet?

Wenn ich nicht mehr weiß, wie ich es verbessern kann. Manchmal hole ich die Bilder nach fünf bis zehn Jahren wieder heraus und arbeite daran weiter.

Wie gehen Sie als Künstler mit Selbstzweifeln um?

Selbstzweifel sind ein sehr guter Ansporn um viel zu arbeiten.

Gehen Sie gerne ins Museum?

Sehr gerne sogar! Mich interessieren die Alten Meister. Ich kann mich natürlich nicht an den Originalen vergreifen, aber daraus wachsen Ideen für neue Serien.

Verfolgen Sie den Kunstmarkt?

Der ist heute so groß und so unübersichtlich, dass man ihn gar nicht verfolgen kann. Daher beurteile ich grundsätzlich keine anderen Künstler und äußere mich in der Öffentlichkeit auch nicht über Preis und Wert von Kunst.

Interessieren Sie sich für die Arbeiten junger Maler?

Die Wintermonate verbringe ich seit über 15 Jahren auf Teneriffa und den Rest des Jahres lebe sehr zurückgezogen in Oberösterreich. Ich habe kein sehr ausgeprägtes Sozialleben. Wenn ich mir Ausstellungen junger Künstler ansehe, dann mache ich das aus eigener Neugier und nicht aus kultureller Verpflichtung.

Sind Sie ein einsamer Mensch?

Nachdem das Malen eine gewisse Abgrenzung voraussetzt, ist die Einsamkeit selbst gewählt. Natürlich treffe ich gelegentlich Freunde, Museumsdirektoren, Galeristen oder Kuratoren. Aber je älter ich werde, umso mehr und umso intensiver arbeite ich. Am liebsten Tag und Nacht.

Arnulf Rainer im Museum Baden.Oktober 2015.

Bis 30. Oktober 2016
ARNULF RAINER. PINSELRAUSCH
Täglich 10 bis 17 UHR
Führungen jeden Samstag/ Sonntag/ Feiertag um 15 Uhr
www.arnulf-rainer-museum.at